… hätte ich keine Rezension geschrieben. Es geht um die Rezensionen des Films »An ihrer Stelle« (»Fill the void - למלא את החלל«) auf Spiegel Online und ZEIT (leider erstmal nur auf Papier erschienen). Der Film spielt im charedischen Umfeld, nimmt aber keine ablehnende Haltung dieser Gruppe gegenüber ein und deshalb hat er es offenbar schwer, den deutschen Filmkritikern zu gefallen - vermutlich schon, bevor sie den Film gesehen haben.

Erzählt wird die Geschichte des 18jährige Mädchens Schirah aus einer charedischen Gruppe in Tel Aviv. Schirah steuert auf ihre Heirat zu. Mit einem Mann, der ihr von der Familie vorgeschlagen wurde. Und: Schirah freut sich darauf.

Natürlich kommt es auf tragische Weise anders. Schirahs Schwester stirbt bei der Geburt ihres Kindes. Zurück bleibt Ehemann Jochaj mit Baby und trauernder Familie. Die Familie ändert darauf hin ihre Meinung zu Schirahs kommender Hochzeit und ihr wird vorgeschlagen, Jochaj zu heiraten. Also die Stelle ihrer Schwester einzunehmen. Das ist der Grundkonflikt des Films. Es ist aunsahmsweise einmal kein Film, der den Konflikt mit der nicht-charedischen Welt zum Thema hat. Er zeigt auch die Protagonisten nicht durch eine Außensicht, sondern nimmt sie ausschließlich in ihrer Lebenswelt und in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld wahr. Der Film öffnet so ein Fenster in die charedische Welt, aber er leuchtet sie nicht komplett aus. Er erzählt die Geschichte von Schirah und bleibt bei ihr. Dies mit den ästhetischen Mitteln des modernen Films (an Weichzeichner wurde nicht gespart, die Schauspieler kommen sehr smart daher). Und genau dies wird der Regisseurin Rama Burschtein von einigen Kritikern in Deutschland angekreidet. Kirsten Rießelmann von Spiegel Online schreibt etwa:

Was Burshtein hier macht, ist nicht ansatzweise aufklärerisch-dokumentarisch. Das ultraorthodoxe Leben wird zum bloßen Sehgenuss, es liefert nur einen Rahmen für das, was sie selbst eine “universal gültige Liebesgeschichte” nennt. von hier

In dieser Lesart hat ein Film offenbar die Aufgabe, aufklärerisch-dokumentarisch zu sein. Oder nur, wenn es um jüdische Themen geht? Formen wir den Satz mal um, um die Absurdität dieser Auffassung zu demonstrieren:

Was Peter MacDonald in Rambo III macht, ist nicht ansatzweise aufklärerisch-dokumentarisch. Afghanistan wird zum bloßen Sehegnuss, es liefert nur einen Rahmen für den herumballernden Rambo.

Die Rezensentin lässt sich sogar dazu hinreissen, zu schreiben, der Film sei ein »konservativer Propagandafilm«:

Dieser Film behauptet, dass es - angedeutet auch sexuell - befriedigend ist, soziale Normen zu erfüllen. Was so eklig wie entlarvend ist.

Das verblüffende ist: Dieser Film b_ehauptet_ überhaupt nichts. Er überlässt die Handlung dem Zuschauer. Er deutet nichts aus. Vielleicht ein Hauch zuviel Selbstverantwortung. Es scheint heute unvorstellbar, dass es Menschen gibt, die nicht so leben wollen, wie Kirsten Rießelmann offenbar lebt und damit offenbart sie ein grundlegendes Problem des - irgendwie speziell deutschen - Liberalismus. Man toleriere alles, wird behauptet, allerdings nur so lange es nicht den eigenen Lebensauffassungen entgegenspricht. Das ist dann arachaisch, wie Rießelmanns Kollege Maximilian Probst von der ZEIT diese Strömung des Judentums empfindet. Auch er findet, in der ZEIT vom 11. Juli, dass der Film nicht genug erkläre. Womit er vielleicht meint, dass man gefälligst den Zustand der charedischen Welt zu verurteilen habe. Diese Art der Selbsterhöhung der eigenen Lebenswelt ist die, die wir auch in Beschneidungsdebatte kennengelernt haben: Selbst wenn Du noch nicht verstanden hast, dass Du in Wirklichkeit gar nicht glücklich bist, mit deinem Leben - dann sagen wir es dir und verlangen, dass du dich unserm Weltbild unterordnest. Das kann doch nicht sein, dass sie ihren Mann nicht beim Bachelor kennengelernt hat, wo sie sich, im Badeanzug räkelnd, angepriesen hat?

Die New York Times, die sich dem filmischen Stoff vollkommen unvoreingenommen nähern kann, sieht das ganz anders. Aber was weiß schon die New York Times…

Das bedeutet natürlich nicht, dass man sich nicht kritisch mit der charedischen Lebenswelt auseinandersetzen kann. Rabbiner Jonathan Sacks hat zuletzt sehr deutlich gemacht, was er von ihrer Abschottung hält.

Trailer: