Düsseldorf und Köln. Traditionell keine große Städtepartnerschaft. Nun haben Kunstprojekte in beiden Städten mit Schoah zu tun. Zum Teil gelungen, zum Teil weniger gelungen.

Der Jom haSchoah — der israelische Gedenktag an die Schoah — ist eindrucksvoll und bewegend. Sirenen heulen und für zwei Minuten steht das Land still. Jeder gedenkt der Opfer der Schoah. Selbst wer im Auto unterwegs ist, steigt kurz aus.

Unter anderem in Köln findet das Festival Impulse statt, eine Theater Biennale, unter dem Dach des NRW KULTURsekretariats irgendwie. Die israelische Künstlerin Yael Bartana — durchaus kein no name im Künstlerbetrieb — wird ebenfalls performen. Am 28. Juni 2013 inszeniert sie ZWEI MINUTEN STILLSTAND in Köln. Lassen wir kurz die Beschreibung zu Wort kommen:

Inspiriert vom israelischen Gedenktag Jom haSho’a, dem Feiertag zum Gedenken der Opfer und Widerstandskämpfer des Holocaust, ist „Zwei Minuten Stillstand!“ ein politischer Akt, eine soziale Skulptur und kollektive Performance im öffentlichen Raum der Stadt Köln, die aktiv in das Projekt einbezogen ist, das vom Kölner Oberbürgermeister Roters ideell unterstützt wird. von hier

Soweit, so interessant. Das alleinige Nachspielen eines Gedenktages mag nun vielleicht überambitioniert klingen. Tatsächlich steckt aber etwas mehr dahinter. Der Text weiter:

Denn Drittes Reich und Holocaust sind nicht nur historische Ereignisse – sie haben weitreichende Wirkungen in unsere Gegenwart hinein: die Gründung des Staates Israel, die Besetzung der palästinensischen Gebiete, Flucht, Vertreibung in Europa und im Nahen Osten. Selbst die finanziellen Ungleichheiten in der EU sind vielfach noch immer Folgen des Zweiten Weltkriegs, so wie es Deutschlands Wohlstand ist. von hier

Damit wird natürlich eine Argumentationskette bedient, die in Deutschland gerne verwendet wird: Schoah — Installation Israels als »Besatzer«. Dann noch etwas Wirtschaftskritik dazu und fertig ist der Baukasten des israelkritischen Intellektuellen.

In Düsseldorf dagegen fliegen direkt richtig die Fetzen. In der Deutschen Oper am Rhein wird Wagners »Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg« derzeit aufgeführt und die Premiere sorgte für Furore. Der schwülstige Stoff, bei dem es um reine und die von Lust getriebene Liebe geht, wurde von Regisseur Burkhard Kosminski zunächst einmal vollständig dekonstruiert. Worum geht es so ungefähr? Wagner hat sich an Heinrich Heines Elementargeistern orientiert und die Geschichte des »Venusbergs« erzählt. Im Venusberg wohnt die Dame Venus mit ein paar Nymphen und Nixen und lässt sich dort angenehm feiern. Ganz unattraktiv ist die Dame wohl auch nicht und lockt durch ihre Schönheit Menschen zu sich. Dort können sie dann ihrem Sexualtrieb nachgehen und ordentlich feiern. Ohne die Hemmnisse jeglicher moralischen Ordnung. Ganz klar fallen sie danach aber trotzdem der »Verdammnis« zum Opfer. Tannhäuser, der Held der Oper, kehrt dennoch von dort zurück und soll bei einem Minnewettstreit über Liebe und Begehren singen. Er kennt das aus dem Venusberg, seine Mitstreiter haben jedoch nur von den Begriffen gehört. Sei Outing bringt ihn gesellschaftlich dementsprechend nicht weiter. Die Moralvorstellungen sind andere. Er büßt dann dafür mit einer Pilgerreise. Vergebung erhält er aber nicht. Dafür muss sich erst eine Frau mit ihrem Leben für ihn einsetzen.

Warum ich das erzähle? Weil dann vielleicht klar wird, war Regisseur Burkhard Kosminski da im Hinterkopf hatte. Er hat nämlich den Venusberg schonungs- und gnadenlos in die Zeit des Nationalsozialismus übertragen. Eine Umgebung, die gängige Moralvorstellungen aushebelte und den Akteuren das Gefühl gab, über ihnen zu stehen. Später dann die Nachkriegszeit: Andere Moralvorstellungen gelten. Der Einzelne muss sich (zurecht) rechtfertigen. Gnadenlos, weil der Regisseur dafür Gaskammern auf die Bühne bringt. Das hat direkt nichts damit zu tun, dass Wagner Antisemit war, sondern hat etwas mit der Übertragung des Stoffes auf ein konkretes Ereignis in der deutschen Geschichte zu tun. In der Adenauerzeit gelten andere Regeln als noch wenige Jahre zuvor. Gibt es dafür Vergebung? Wohl kaum!

Elena Zhidkova (Venus), Daniel Frank (Tannhäuser) - © Hans Joerg Michel/Deutsche Oper am Rhein Elena Zhidkova (Venus), Daniel Frank (Tannhäuser) - © Hans Joerg Michel/Deutsche Oper am Rhein

Dem medialen Echo kann man entnehmen (die meisten Artikel zum Thema sind fast wortgleich, Agenturmeldung nachgedruckt?), dass das Publikum erbost tobte. Wohl aber nicht, weil man sich um die Darstellung der Nazi-Opfer sorgte, sondern wohl, weil man das mit »dem Tannhäuser« nicht macht. Selbst der Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf wird dementsprechend von der ZEIT zitiert. Man tue Wagner unrecht. Wagner hätte mit der Schoah nichts zu tun gehabt. Das hat nur mit der Inszenierung der Oper nichts zu tun. Man hat ja Wagner keine SS-Uniform angezogen. Das Publikum lehnt die Inszenierung ab, weil man daraus nichts hässliches machen darf. Die Sünde muss irgendwie prickeln. Die einzige Frage die man stellen muss, lautet: Wurde das Anedenken der Opfer herabgesetzt? Für Köln kenne ich die Antwort. Bei Düsseldorf bin ich mir unsicher.

[highlight]Update:[/highlight] Die Oper in Düsseldorf wurde abgesetzt (siehe etwa hier) - eine bedauerliche Entscheidung. Die richtige Entscheidung für die falsche Stadt in dieser Geschichte hier.