Die Synagoge bis unter das Dach gefüllt, ein Kantor aus New York und ein Kiddusch mit viel Gesang und Tanz - das hat es in Gelsenkirchen in dieser Kombination noch nicht gegeben und ist dem Programm der Klezmerwelten geschuldet. Die Programmmacher hatten sich dazu entschlossen, auch die Synagoge und Kabbalat Schabbat in das Programm einzubauen und so kam es, dass auch Nichtjuden mit Voranmeldung an einem recht großen Kabbalat Schabbat teilnehmen konnten, um sich mal anzuschauen, was in der Synagoge so passiert. Da Musiker Jeff Warschauer ohnehin für ein Konzert in der Stadt war und sich auch mit Chazanut auseinandersetzt, hat er freundlicherweise Kabbalat Schabbat vorgebetet und es passte. Die jüdischen Beter waren begeistert und die nichtjüdischen Zuschauer verbanden den kleinen Einblick in die Synagoge und ein Gebet dort mit der Chance, einen der Musiker der Klezmerwelten zu hören. Zum Kiddusch bezog das Ehepaar Strauss-Warschauer alle Anwesenden ein und sang mit ihnen, so dass am Ende auch wieder getanzt wurde (natürlich ohne Instrumentalmusik, war ja Schabbes). Beide Akteure verstehen es, mit Publikum umzugehen und zu interagieren und bringen eine angenehme (amerikanische?) Lockerheit mit, ohne dabei beliebig zu sein.

Viele der Besucher waren recht neugierig und stellten, naturgemäß, ein paar Fragen zum Ablauf und zum üblichen Procedere. Dadurch entspannen sich ein paar interessante Gespräche, aber auch ein paar Schieflagen. Wenn man mich ohne Begrüßung oder Einleitung anspricht und fragt »Wo kommen denn Sie und Ihre Familie her?« und man auf ein böses Gesicht und vollkommenes Unverständnis stößt, wenn man antwortet »im Prinzip finde ich diese Frage, einem vollkommen Unbekannten gestellt, sehr indiskret«, dann ist das nicht so sehr angenehm. Vor allem, wenn die Person nicht locker lässt und wissen will, »woher aus Osteuropa kommen Sie denn jetzt?« Das ist allerdings weniger ein Nachteil der Veranstaltung, als vielmehr der individuellen Unerzogenheit.

Hawdalah gab es nicht öffentlich, wohl aber nach Schabbat-Ende ein richtiges Konzert von Deborah Strauss und ihrem Mann Jeff Warschauer. Jeff Warschauer und Deborah Strauss Deborah Strauss spielt Geige und singt, ihr Mann singt ebenfalls und spielt Gitarre und Mandoline und beide haben das Geschick, einen Abend zu füllen: Sie erzählen Geschichten zu ihren Songs, mal auf Englisch und Jiddisch, mal auf Jiddisch, mal wird der Text übersetzt. Mal spielen sie instrumental, dann singen sie ohne jegliche musikalische Begleitung, mal begleiten sie einander. Mal ein Lied, mal präsentieren sie ein Niggun (von Chabad). Immer wieder kehren an diesem Abend einige Elemente der Hawdalah wieder. So stößt man auf Hamawdil, oder ganz simpel auf Schawua Tow oder Deborah Strauss singt den Text von ??? ??? ????? G-t fun Avruhum, welches in einigen Siddurim als Gebet für Frauen am Schabbatausgang abgedruckt ist. Weil beide tatsächlich Jiddisch sprechen, haben weder Lieder, noch die Erzählungen etwas aufgesetztes. An diesem Abend wurde ausnahmsweise mal nichts de-konstruiert, allerdings haben beide ein großartiges Konzert abgeliefert - weil sie ihr Handwerkszeug einsetzen können und das Feld auf dem sie unterwegs sind, sehr genau kennen.