In der letzten Ausgabe der Jüdischen Allgemeinen schrieb Autor Benjamin Stein seine Meinung zur Urheberrechtsdebatte auf und zeigte erneut, dass es in der Diskussion tatsächlich nur Schwarz und Weiß gibt, oder nur Gut und Böse. Oder, um in der Sprache der Verfechter einer totalen Freiheit zu bleiben Nutzer und Verwerter. Im Steinschen Artikel haben wir noch die Wahl zwischen Freiheit (»Aufgabe des GEMA-Cents«) und »chinesischen Netzverhältnissen«.In der aktuellen Ausgabe argumentiert Doron Rabinovici übrigens dagegen.

Der Text von Stein war ein Meinungsbeitrag der ein wenig in die Richtung zu gehen scheint, in welche die Piratenpartei bei diesem Thema marschiert. Nun kann eine Meinung auch auf Basis einer unkonkreten Wunschvorstellung oder auf einem Ideal basieren. Sie muss nicht vernünftig begründet sein. So mancher meint einfach aus Prinzip einfach das Gegenteil von dem, was alle anderen meinen. Wenn man (reich und) berühmt ist, kann man mit diesem Prinzip sogar noch reicher und noch berühmter werden. Aber zurück zu Steins Meinung. Sein Beitrag zeigt, dass eine Meinung nicht unbedingt begründet sein muss. Im Fall von Benjamin Steins Meinung ist das offenbar so. Unter Auslassung wichtiger Fakten könnte man seine Meinung nachvollziehen, auch als »digital native«. So schreibt er unter anderem, dass Contentanbieter im Netz schnell, komfortabel und technisch anspruchsvoll anbieten müssten, um die Entscheidung für den legalen Erwerb (gibt einen illegalen Erwerb??) nicht zu bestrafen. Was Stein offenbar nicht sieht, ist die Tatsache, dass es kein Anrecht auf Grundversorgung mit Literatur und Musik gibt. Eine »Nichtversorgung« mit Musik oder literarischen Werken rechtfertigt nicht die Aneignung von Dateien oder entsprechenden Werke. Technische Hürden oder zu hohe Preise sind dementsprechend keine zulässige »Ausrede« dafür, dass man sich die Waren aneignet ohne den festgesetzten Preis dafür zu bezahlen, nach Benjamin Steins Logik wäre das wohl ein illegaler Erwerb. Interessant, wie die Öffentlichkeit reagieren würde, wenn ich nach einem Gesetz verlange, dass es mir erlaubt, Waren aus dem Supermarkt mitzunehmen ohne zu bezahlen, weil sie »technische Einschränkungen« geschaffen hätten. Also beispielsweise meinen Kreditkartenanbieter nicht akzeptieren. Beim nächsten Mal mache ich also meinen Einkaufswagen voll und rolle an der Kasse vorbei. Bargeld habe ich nicht und Kreditkarten nehmen sie nicht an. Selber schuld, wenn sie technisch dem Konsumenten nicht entgegenkommen. Das wäre die Analogie zum Text von Benjamin Stein. Oder ich nehme das neue Buch von Benjamin Stein in der Buchhandlung (kann man es auch kostenlos auf der Homepage von Benjamin Stein herunterladen? Mit gutem Beispiel voran!) einfach mit.

Was haben »wir« damit zu tun? Neben der gesetzlichen Situation haben müssen wir schauen, was halachisch so geht, wenn wir über das Urheberrecht sprechen. Also eine »jüdische« Sicht einbringen und die Sachlage unter noch komplexeren Parametern sehen. Zum einen kommt sie einer piratigen Sicht entgegen (»Wiederauflage von vergriffenen Büchern oder Werken«), schützt jedoch in anderer Hinsicht die Rechte des Urhebers und des »Distributoren«. So haben sich die Rabbinen schon früh um den Schutz derjenigen bemüht, die Kosten und Mühen auf sich nahmen, religiöse Bücher zu drucken. So gab es einen Bann über diejenigen, die ein Werk unberechtigterweise nachdrucken. Der war zuweilen zeitlich angelegt oder geographisch. Diese Herangehensweise nahm also einiges von dem voraus, was heute allgemein üblich ist und schützte die »Investition« des Druckers. Eine vollständige Ausgabe des Talmuds und der dazugehörigen Kommentare stellte man nicht mal so eben schnell zusammen.

Der Rama (Rabbiner Mosche Isserles) urteilte dementsprechend, als zwei Drucker das gleiche Werk in Italien auf den Markt brachten. Er schützte die Rechte dessen, der das Buch zuerst auf den Markt brachte. Jemandem sein Einkommen vorzuenthalten könnte als »Hasogat Gevul« betrachtet werden. Also dem Verbot, den Markstein eines anderen zum eigenen Vorteil zu verschieben. Die Einkünfte aus der Arbeit des Urhebers und seinem »Drucker« steht ihnen zu und nicht einer dritten Partei. Ganz so einfach ist es also nicht.

»Wir tun Dinge, weil wir technisch dazu in der Lage sind« war nie eine jüdische Haltung. Die jüdische Haltung wäre vielleicht »Pff. Schwere Frage. Warum stellst Du sie?«