Beit Shemesh, Israel, 27.12.2011.

Das ist ein Thema, das ist in der Öffentlichkeit dankbar angenommen wird und auch unter Juden heiß diskutiert wird. Dabei spielt es keine Rolle, wie schlecht Nichtjuden und Juden informiert sind darüber, was und wer da in Bejt Schemesch gegen wen oder was vorgeht. Einige, die sich zum Orthodoxen Judentum zählen, stellen sich hinter die Charidim, einfach, weil es nicht sein kann, dass die protestierenden Israelis vielleicht Recht haben könnten und liberal orientierte (oder säkulare) Juden sehen offenbar einen Konflikt mit der Orthodoxie insgesamt. Der nichtjüdische Beobachter scheinbar dazu, aus dem Konflikt eine Zerreißprobe zu machen: Der Staat (wahlweise auch die Bürger) gegen die um sich greifende Ultraorthodoxie (eine Sicht, die auch in jüdischen Blogs aufgegriffen wird). Dabei werden gerne alle möglichen Ereignisse zusammen gemischt. Die Ereignisse in Bejt Schemesch etwa, mit denen kürzlich in Aschdod, als sich die Journalistin Tanya Rosenblit in einen Bus setzte, der von Charidim (einer sog. Mehadrin Buslinie) genutzt wird und dokumentierte, was dann (erwartungsgemäß) passierte. Worum geht es also in Bejt Schemesch?

Begonnen hatte offenbar alles mit der Orot Banot Schule (nationalreligiös) für Mädchen in Bejt Schemesch – vor Monaten. Sie lag einer Gruppe von Bewohnern einer charejdischen Wohngegend zu nah. Einige Hitzköpfe sind bereits im Vorfeld dagegen vorgegangen und haben offenbar mit der Schulleitung keinen Kompromiss finden können und griffen zu Mitteln, die eigentlich nicht im Einklang mit ihrer religiösen Überzeugung stehen dürften. Bereits im August vandalisierten sie herum, so dass das Gebäude von den Eltern geschützt werden musste (Details hier). Jedenfalls ist auch die jüngste Entwicklung, etwa die übelste Beschimpfung achtjähriger Mädchen und das Werfen von Steinen auf den Schulhof nichts, was man religiösen Menschen zutrauen dürfte. Das dürfte eher das Werk von Fanatikern sein, die ihrer Überzeugung alle anderen Werte unterordnen.

Das sind sie wohl auch, die Übeltäter von Bejt Schemesch, allerdings sind das nur Vertreter einer kleinen Gruppe inmitten vieler anderer, die das auch nicht besonders charmant finden, eher unbeachtet, für einen friedvollen Umgang miteinander werben und sogar an Demonstrationen teilnahmen. Man muss auch sagen, dass es auch Gruppen gibt, die einfach überhaupt nicht reagieren. Nun bemühen einige sich, die Wogen zu glätten und haben sich auch gegenüber Na’ama Margulies (das achtjährige Mädchen) davon distanziert (siehe hier). Die Charidim scheinen das teilweise jedenfalls (nach Sichtung der charejdischen Informationsquellen) als Kampf zwischen einigen der ihren und den nationalreligiösen zu betrachten und nicht als Konflikt der säkularen Gesellschaft gegen die charejdischen Kräfte im Land.

Diejenigen, die da zur vorschnellen Solidarisierung neigen, machen sich so mit einem Haufen Fanatiker gemein und nicht mit einer religiösen Strömung. Dafür gibt es auch übrigens innerhalb der Strömungen (ganz gleich ob orthodox, liberal etc.) zu viele konkurrierende Meinungen und Ansichten. Schon gar nicht, kann man auf die gesamte Orthodoxie schließen und darin einen säkular-orthodoxen Konflikt sehen.

Diejenigen, die sich mit der anderen Seite solidarisieren, sollten dagegen verstehen, dass es möglicherweise (!) nicht um eine Demokratisierung der Gesellschaft geht, sondern vielleicht eher um politische Mechanismen. Denn den Protest so zu verstehen, dass es gegen die Charidim im Land insgesamt geht, ist durchaus gewollt. Die politischen Parteien der charejdischen Gruppen halten Netanjahu an der Macht. Vielleicht verspricht man sich nun einen Machtwechsel durch ein Vorgehen gegen Netanjahus Koalitionspartner? Das muss nicht zwingend so sein, könnte aber. Das Thema »Gleichheit« und »Chancengleichheit« von Mann und Frau wurde dementsprechend schnell von allen politischen Akteuren Israels als heißes Thema erkannt und nun springen alle auf das Pferd auf.

Wer der »Demokratisierung« das Wort reden will, muss sich im Klaren darüber sein, dass es hier nicht damit getan ist, irgendeiner Gruppe zu verbieten, dass Frauen und Männer irgendetwas nicht gemeinsam tun dürfen. Das Ding mit der Demokratie ist nämlich, dass man einander nicht alles verbietet, sondern in erster Linie die Rechte der anderen schützt und nicht nur seine eigenen Ansichten und Anliegen. Das würde natürlich bedeuten, dass in charejdischen Wohnvierteln die Bewohner die Regeln unter sich ausmachen können. Ob wir die Regeln gut finden, steht auf einem vollständig anderen Blatt.

Demokratie würde aber auch bedeuten, dass die Politik dem Mädchen einen Schulbesuch möglich macht und nicht Politiker und Gruppen mit politischer Agenda nun den Fall nutzen, um irgendwie daraus Profit zu schlagen.

Ronny Yitzchak weist in seinem Blog ebenfalls recht aktuell auf das Phänomen hin, dass ein säkular-orthodoxer Konflikt gesehen wird.