Rabbinerordination und Normalität

Das ist ein Stück jüdischer Infrastruktur. Rabbinerseminare, orthodoxe und liberale, die nun regelmäßig Absolventen in die Welt aussenden. Am 23. November wird das Abraham Geiger Kolleg seinen Absolventen wieder feierlich die Smicha überreichen. 2006 gingen die ersten frischen Rabbiner in ihre Gemeinden. Im vergangenen Jahr war erstmals eine Frau dabei, die beachtliches Medienecho fand. Nähmen wir einen Augenblick an, es gäbe so etwas wie eine deutsch-jüdische Normalität, dann bliebe es bei einer Nachricht hier im Blog und einer kleinen Hintergrundinformation in der Jüdischen Allgemeinen oder in der Lokalzeitung der Region aus der einer der Absolventen stammt. Vielleicht aber auch noch in der Lokalpresse der der Stadt, in die sich die Ehrengäste begeben. Aber so ist es noch nicht und ich bin mir nicht sicher, an welchem Kommunikationspartner das liegt.

Im Marketing lernt man schnell, dass man Alleinstellungsmerkmale herausarbeiten muss. Also Merkmale einer Ware oder einer Veranstaltung, die sie von anderen unterscheiden und besonders auszeichnen. Das interessiert bei besonders gründlicher Arbeit natürlich die Presse. Bei jüdischen Events ist das häufig das erste Mal (der erste Rabbiner in der Stadt, die erste Torahrolle seit…, die erste Jeschiwah etc.), oder das erste Mal seit. Fällt dieses Alleinstellungsmerkmal weg, fällt es natürlich schwerer, große Aufmerksamkeit zu generieren.

Tatsächlich waren die ersten beiden ersten Abschlussklassen der orthodoxen und liberalen Rabbinerseminare historische Schritte zu einer Stärkung der jüdischen Infrastruktur und eigentlich war die Aufmerksamkeit der Medien schwer zu überbieten. Werden wir also erstmals eine ganz normale Ordination erleben? Vielleicht nicht ganz:

»Erstmals seit dem Holocaust wird mit der 51jährigen Antje Yael Deusel eine deutsche Jüdin in Deutschland zur Rabbinerin ordiniert.« (von hier).

Premiere ist auch ein zulässiger Ersatz für das Wort erstmals:

Es ist eine mehrfache Premiere: Zum ersten Mal seit dem Holocaust wird eine deutsche Jüdin zur Rabbinerin ordiniert. Die 1000 Jahre alte Israelitische Kultusgemeinde in Bamberg erhält zum ersten Mal in der Geschichte eine weibliche Vorbeterin. von hier

Wer gutes tut, soll darüber reden. Das ist ein gutes Werkzeug, um auf die eigenen Anliegen und das eigene Tun aufmerksam zu machen. Keine Frage.
Aber wie im vergangenen Jahr, tauchen die anderen (in diesem Jahr vier) Absolventen nicht unbedingt in ähnlicher Präsentation auf. Yann Boissière (wird Rabbiner in Paris), Yuriy Kadnykov (geht nach Mönchengladbach), Jona Simon (wird Rabbiner für den Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen) und Paul Strasko (geht nach Genf) scheinen also wieder im Schatten zu gehen, den die erste wirft.

Auch im kommenden Jahr werden vermutlich wieder Absolventen ihre Smichah erhalten. Wird dies ein Zeugnis für eine deutsch-jüdische Normalität werden, weil nur in jüdischen Publikationen darüber berichtet werden wird? Das macht es nicht weniger interessant.

Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

9 Kommentare

  1. Ganz bestimmt wird es auch im naechsten Jahr wieder eine Premiere werden, denn so G-tt will, werde ich zum ersten Mal ordiniert werden. Aber Spass bei Seite – Nein, Normalität sieht weiterhin anders aus. Noch immer sind Rabbiner eine Seltenheit, vor allem in Deutschland ausgebildete. Und noch immer ist es etwas Besonderes, wenn eine Gemeinde einen Rabbiner, geschweige denn, eine Rabbinerin bekommt. Zu lange war diese “Tradition” in Deutschland gebrochen, um schon nach 5 Jahren als “geheilt” zu gelten.

    Wer die Ordination übrigens mitverfolgen, kann dies per Livestream auf der Website des BR verfolgen:

    Livestream auf http://www.br.de (erscheint während der Sendung gleich dick auf der Startseite)
    7-Tage-Archiv auf http://www.br.de Mediathek
    6 Monate auf der Stationenseite.

  2. Normalität ist ja prinzipiell ein inhaltsleerer Begriff. Wenn man nun aber unbedingt immer wieder nach jüdisch-deutscher Normalität fragen muss(und die Historie bedenkt), kann man im Grunde genommen eigentlich nur festhalten, dass wir heute im positiven Sinne alles andere als Normalität haben. Also: Alles gut!
    Und mal ehrlich: Eine Priesterweihe ist eine Priesterweihe und eine Rabbinerordination ist eine Rabbinerordination. Warum also Tammtamm? 🙂

    1. »Normalität ist ja prinzipiell ein inhaltsleerer Begriff. Wenn man nun aber unbedingt immer wieder nach jüdisch-deutscher Normalität fragen muss(und die Historie bedenkt), kann man im Grunde genommen eigentlich nur festhalten, dass wir heute im positiven Sinne alles andere als Normalität haben.«
      Sehr gutes Argument. Wie soll man das beschreiben, was Du mit Deinem letzten Satz gut zusammenfasst? Normalität scheint nicht zu passen. Mit Normal meine ich eben den Begriff, den Du mit »Tammtamm« beschreibst, aber praktisch das Gegenteil dazu. 😉

  3. über das, was normal ist, lässt sich nun trefflich streiten! ‘Normalität’ würde jedenfalls für mich dann beginnen, wenn ein Rabbiner, ein Imam und ein katholischer Pfarrer gemeinsam in einem buddhistischen Tempel in der Stadt Riyadh von einem Hindu-Priester bei Anwesenheit von Parsen, Agnostikern und Zeugen Jehovas ordiniert würden.

    Na ja, wahrscheinlich müssen wir noch ein weiteres Jahr warten, bis es soweit kommt !? 🙂

    Shalom

    Miles

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