War Chabad vor einigen Jahren in noch ein Phänomen das deutsche Juden aus dem Ausland kannten (»Wollen Sie Tefillin legen?«), so sind heute zahlreiche »Emissäre« (die sog. Schluchim) von Chabad auch in Deutschland aktiv und das mit beachtlichen Erfolgen, während andere Bewegungen nicht richtig von der Stelle kommen, oder in weitaus kleinerem Maße wachsen. Sieht man von Lauder ab. In 15 Städten ist Chabad aktiv und weltweit tun etwa 4000 dieser Schluchim mit ihren gesamten Familien den Dienst. Was ist das Erfolgsgeheimnis von Chabad? Warum „kopieren“ andere Strömungen nicht einfach Teile davon? Wie finanziert sich Chabad? Was sind die häufigsten Vorwürfe gegenüber Chabad?

Man könnte sagen, all das beschreibt Sue Fishkoff in ihrem Buch »Das Heer des Rebben«. Allerdings ist das Buch mehr als ein wissenschaftlicher Text über die Absichten und Arbeitsweisen von Chabad. Fishkoff hat etwa ein Jahr Chabadniks in verschiedenen Gegenden besucht und ihnen bei ihrer Arbeit über die Schulter geblickt und zugleich jüdische Vertreter vor Ort zum Engagement von Chabad befragt. Die Reaktionen sind – was vorhersagbar ist, wenn man das Phänomen kennt – gemischt. Einige begrüßen das Engagement, andere lehnen es rundherum ab. Sie tut das praktisch als »embedded journalist« und das ist, für ein Buch über Chabad, neu. Bisher gibt es zwar einige Artikel »über« Chabad, aber kaum einen, der sich mit nahezu allen Aspekten beschäftigt hat. Sie tut das natürlich besonders für die USA und hier ist die allgemeine jüdische Infrastruktur eine andere, als in Deutschland etwa. Der Leser erfährt simultan etwas über die Überzeugungen und Arbeitsweisen von Chabad als religiöser Organisation und zugleich über die einzelnen Vertreter vor Ort und vermutlich, so liest man es zwischen den Zeilen, wenn man das Engagement der jungen Rabbiner buchstäblich »beobachtet«, ist dieser Punkt ausschlaggebend für den Erfolg. Es ist der Schaliach vor Ort, der durch seinen Einsatz und den persönlichen Kontakt zu den Menschen das Gesicht ausmacht. Er bindet die Personen so ein, wie es ihnen möglich ist. Einige Menschen werden dementsprechend auch finanziell eingebunden. Es ist also das persönliche Gesicht, nicht die Organisation als Abstraktum, das den Erfolg der Aktivitäten garantiert. Die Männer und ihre Familien geben der »Marke« Chabad einen Wert und sorgen dafür, dass man generell ein positives Bild hat, wenn über die Organisation gesprochen wird, auch wenn man viele oder einige der Überzeugungen ablehnen mag:

Nicht jeder mag Chabad. Die sehr öffentliche und unübersehbare Art von Jüdischkeit der Bewegung wirkt auf einige befremdlich, genau wie die Art und Weise, wie Schlichim in eine Stadt brausen und sich unter lauten Posaunenstößen in Gemeinden einrichten, in denen die jüdische Bevölkerung ein eher diskretes Profil gepflegt hat. Dadurch, dass Chabad sich weigert, nicht-orthodoxe jüdische Gruppen anzuerkennen, steht es weder mit der Mehrheit der Rabbiner, die in den USA arbeiten, im Einklang noch mit den meisten nationalen jüdischen Organisationen. — Zitat aus Kapitel 1

Fishkoff gibt dafür durchaus auch Beispiele und spart keine Themen aus, die kontrovers diskutiert werden dürften. Etwa die Rolle des Rebben, die Verehrung seiner Person am »Ohel« und die Praxis Briefe an den Rebben zu schreiben und eine Antwort zu erwarten – wie das funktioniert, steht natürlich im Buch. Einen historischen Abriss über die Entwicklung der Bewegung gibt es natürlich auch.

Das kann man aus Interesse lesen, weil es auch unterhaltsam geschrieben ist, aber auch um zu sehen, wie das System funktioniert und das ist verblüffend: Es ist nicht etwa so, dass eine zentrale Organisation alle »Zweigstellen« mit Geldern versorgt, sondern die Abgesandten zwar aussucht, vorbereitet und vernetzt, aber sie finanziell nicht so ausstattet, dass sie eine vollständige Infrastruktur aufziehen könnten. Nach einem Jahr muss die Familie des Rabbiners sich selbst und die Aktivitäten selber finanzieren können. Dazu müssen Sponsoren und lokale Aktive gewonnen werden. Das hat (besonders, wenn wir nach Deutschland blicken) den Vorteil, dass die Infrastruktur mit den Ansprüchen wächst und dementsprechend bezahlbar bleibt. Es wird also kein Gemeindezentrum gebaut und dann geschaut, wie man es mit Leben füllen könnte und zugleich die finanziellen Verpflichtungen erfüllen kann. Es geht vielmehr los mit der Wohnung der Familie, dann kommt häufig eine Möglichkeit für Kinderbetreuung dazu, dann größere Räume und so weiter. Viele Male wird das im Buch geschildert. Das reicht von der kleinen Wohnung der Familie bis zum riesigen Chabad-Zentrum mit Synagoge, Mikwe und allem, was dazugehört. Die Chabad-Zentren in Deutschland mischen also nicht mit beim großen Verteilungskampf um die Gelder, die das Land oder der Staat ausschüttet und so wundert man sich darüber, dass es doch (oder gerade deshalb) funktioniert und andere Gruppen einen aufzehrenden Kampf um Mittel führen, weil man ansonsten »ein funktionierendes jüdisches Leben« nicht finanzieren könne (wie es hier formuliert wird).

Formales: Irritiert war ich zunächst über die konsequente Rechtsbündigkeit des Buches und habe mich gefragt, ob das eine Anspielung auf hebräische Bücher sei? Es dauerte ein wenig, mich daran zu gewöhnen, dass ein Abschnitt unten rechts endet. Offenbar ist dies aber ein Layoutkniff, denn das »Das Heer des Rebben« wurde im Wettbewerb »Die schönsten Schweizer Bücher«, ausgelobt durch das Schweizer Bundesamt für Kultur, prämiert. Diesen Preis erhalten Bücher, weil sich durch Gestaltung, Konzeption und Verarbeitung auszeichnen. Dass diese Besonderheit der Gestaltung nicht erklärt wird, finde ich hingegen gut. Erklärungen zu hebräischen oder jiddischen Begriffen sind jeweils direkt (unübersehbar) eingeschoben, werden jedoch auch in einem Glossar gesammelt. Geblättere kann man sich also sparen, hat den Begriff doch bei der Hand, wenn man ihn später erneut braucht.

Wer sich für das Judentum und seine aktuelle Entwicklung interessiert, wird schwerlich an dem Buch vorbeikommen. Auch, um wichtige Argumente im Umgang mit Chabad zu kennen. Also ergeht an dieser Stelle ein Kaufbefehl! (Erhältlich bei booksnbagels) Einige Kapitel gibt es übrigens auch online.