Böse Zungen behaupten, ich hätte mit einem Glas Wein auf die Nachricht reagiert, dass Frau Brocke die Einrichtung »Alte Synagoge Essen« verlassen würde. So ist es natürlich nicht. Ich habe den Korken einer Sektflasche knallen lassen. Jetzt konnte eine andere Richtung eingeschlagen werden. Die Stadt Essen wollte ein »Haus jüdischer Kultur« aus dem Haus machen. Wenn man im Ruhrgebiet lebt, hat man große Erwartungen an einen solchen Titel. Natürlich kommt es immer anders als man denkt und der Kurs, den Frau Brocke eingeschlagen hat, geht irgendwie nun doch weiter. Unter dem kommissarischen Leiter Dr. Schwiderwoski (der die Amtsgeschäfte führt, bis der neue Leiter Dr. Uri Kaufmann im September seine Arbeit aufnimmt) macht das Haus nach dem Personalwechsel nicht mit einem inhaltlich jüdischen Thema Furore, sondern indem man »gegen« etwas ist. Die Beschäftigung mit »Antisemitismus« ist übrigens kein jüdisches Thema, es sollte eigentlich Thema der Gesamtgesellschaft sein.

So kündigte die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Essen einen Vortrag von Chaim Noll im Haus Jüdischer Kultur an, der zunächst unter der Überschrift »Antisemitismus heute« daherkommt. Das klingt zunächst nach einem Standardthema einer Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit und für die Alte Synagoge mit altem Profil ohnehin. Der kurze Text der Ankündigung kommt jedoch weniger verschlafen daher:

»Judenfeindliche Ressentiments spielen seit der Niederschrift des Korans im 7. Jahrhundert und dem Massaker gegen die Juden von Medina im Jahre 628 durch Mohamed im Islam eine fundamentale Rolle. Bis heute kann dieser traditionelle Judenhass reaktiviert und politisch instrumentalisiert werden. Ein Beispiel dafür liefert die im Gaza-Streifen herrschende Organisation Hamas in ihrer Charta. Judenhass wird auf den Staat Israel übertragen, dessen Zerstörung das erklärte Ziel dieser Bewegung ist.» Von hier

»Fundamentale Rolle« bedeutet: Es ist Basis (Fundament) des Islam, ja eine tragende Eigenschaft dieser Religion. Mit dieser Behauptung hat man bereits einen Großteil der Dinge getan, welche die Hamas bezwecken will: Eine Umdeutung des Islams in ihrem Sinne. Tatsächlich können wir das heute nicht feststellen. Es gibt muslimischen Antisemitismus, über den man reden muss (!), aber man muss ihn auch vernünftig kontextualisieren, weil man ansonsten am Thema vorbeiredet und diejenigen aus dem Boot wirft, auf deren Hilfe man setzen sollte: All derjenigen Muslime, die das anders sehen. Die sind noch immer in der Mehrheit, die Minderheit ist aber laut genug, um sich Gehör zu verschaffen. Das Problem des muslimischen Antisemitismus heute, ist Teil einer Jugendkultur. Genährt durch die Propagandasendungen aus den Heimatländern der Eltern oder Großeltern (siehe die antisemitische Maus im Kinderprogramm der Hamas) und eine politische Bewegung, die den Antisemitismus als Werkzeug für ihre Zwecke verwendet und ein recht simples Bild, dass dort vom Islam gezeichnet werden muss (»wir sind toll, die anderen Schmutz«). Hinzu kommt die Tatsache, dass die Träger dieses Antisemitismus im Allgemeinen kein besonders differenziertes Weltbild haben. Es sind sicher keine Koranexegeten allererster Güte, die sich auf irgendeine Art von Auslegungstradition berufen.

Kleine, weniger gravierende, Analogie: Man stelle sich vor, ein nichtjüdischer Wissenschaftler behauptet, Sexualität sei im Judentum im Grunde genommen verpönt und beruft sich dabei auf die Auslegung charejdischer Rabbiner zu dem Thema.

Jedenfalls startet aber die erste Veranstaltung unter der Ägide des temporären Leiters des Hauses, unter dieser Prämisse: Der Islam ist im Fundament antisemitisch. Das freut alle diejenigen, die es schon immer gewusst haben wollen. Für alle anderen ist eine Katastrophe, dass die Stadt Essen und ihr Haus Jüdischer Kultur diese Botschaft als erstes aussendet. An einen Dialog ist danach wohl kaum noch zu denken. Da spielt es eine kleine Rolle, ob Noll dies hinterher so in seinem Vortrag behaupten wird.

Der lokale Skandal ist jedoch perfekt, auch weil Muhammet Balaban, Sprecher der Kommission für »Islam und Moscheen in Essen«, einen (sehr unbeholfenen) Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Essen schrieb, in welchem er sich gegen die Veranstaltung ausspricht:

»Hier wird ein geschichtlicher Hergang dermaßen missbraucht, dass die Vermutung nahe liegt, es sollten bewusst Mißtrauen, Diskriminierung und sogar Anstiftung zu Feindseligkeiten in unserer Gesellschaft gesät, in dem die Muslime wieder zur Zielscheibe gemacht werden.« Dokumentiert hier

Weiter schreibt er

»Die Einladung enthält „Angriffe“ auf den Propheten Hz. Mohammed und Koran sowie auf alle Muslime derart, die die „Gen-These“ von Sarrazin nicht vermissen lassen.«

Vielleicht wäre es günstiger gewesen, dies ein wenig distanzierter zu formulieren, dennoch reagierte Essens Oberbürgermeister Paß und teilte mit, er hoffe »dass die neue Leitung der Alten Synagoge sich den Integrationsgedanken deutlich mehr zu eigen macht als dies bisher der Fall war« (zitiert nach den Ruhrbaronen) und damit ist Skandal auf dem Tisch (Die Nachrichtenseite Der Westen berichtet). Der Geschäftsführer der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Karl Klein-Rusteberg, wertet das Aufbegehren gegen die Veranstaltung als Angriff auf die Meinungsfreiheit:

Warum soll es sich eine soeben als europäische Kulturhauptstadt verabschiedete Kommune nicht leisten können, einer ihrer bedeutenden Einrichtungen schlicht die Freiheit zu geben, nicht dem mainstream der Mehrheitsgesellschaft zu entsprechen? […] Der einzig mögliche Grund, diese Freiheit von Seiten der politisch Stadtverantwortlichen einzuschränken (und genau das ist die Absicht der „Kommission für Islam und Moscheen in Essen“) ist die Absicht, sich nicht öffentlich kritisch mit diesen Anfragen auseinandersetzen zu wollen. Von hier

Man könnte dies nun auch so verstehen, dass Meinungsfreiheit in erster Linie bedeutet, dass man alles behaupten kann, was man will ohne auf Gegenargumente eingehen zu müssen. Das ist dann natürlich kein Dialog mehr und führt zu nichts. Dr. Uri Kaufmann hat sich bisher in der Öffentlichkeit dazu nicht geäußert. Im Hinblick auf den Amtsantritt vier Monate nach den Geschehnissen, vielleicht auch verständlich.

Update: Schrieb ich oben noch

Da spielt es eine kleine Rolle, ob Noll dies hinterher so in seinem Vortrag behaupten wird.

da werde ich durch die Presse (derwesten) korrigiert:

Er scheute sich aber auch nicht vor Aussagen, die Teile des Publikums als pure Provokation empfanden. So bezeichnete Noll den Koran als ein judenfeindliches Buch, den Abzug der Israelis aus dem Gazastreifen als einen Fehler. von hier

Yael hat freundlicherweise auf den Bericht hingewiesen, vielen Dank!