Das war doch irgendwie klar. Man konnte bei google News alttestamentarisch eingeben und alle fünf Sekunden auf den Neu laden Knopf des Browsers klicken, nachdem bekannt wurde, dass Osama bin Laden durch eine Kommandoeinheit des US-Militärs getötet wurde.
Und siehe da – der Spiegel ließ sich nicht lange bitten und auch Menschen, die es beruflich besser wissen müssten, ziehen nach:
Etwa Hanno Terbuyken, Redakteur von evangelisch.de (mit der gleichnamigen Kirche ist die Publikation auch verbunden):

Es ist die alttestamentarische Rache für die Anschläge vom 11. September, Auge um Auge, Zahn um Zahn. von hier

Wolfgang Neskovic, ehemaliger Richter des Bundesgerichtshofes und Bundestagsabgeordneter der Linksfraktion wiederholte das im heute-Journal am 3. Mai dann ebenfalls noch einmal. Beiden dürfte oder müsste bekannt sein, dass sie da an eine sehr unschöne Tradition anknüpfen. Eine, die eine antijüdische Haltung mit dem Tanach begründet – dem alten Testament. Auf der einen Seite stehen die friedliebenden Christen und auf der anderen Seite stehen die rachedurstigen Juden. Die Formel Ajin tachat Ajin ~ Auge für Auge (Schemot 21:24) wird gerne im antijüdischen Diskurs missbraucht und ausgeblendet, dass die Anwendung dieses Satzes einen materiellen Schadensersatz meint (Bava Kamma 83b-84a). Vor allem wird ausgeblendet, dass die Verwendung dieser Formulierung durch Hitler deren Begriffsgeschichte praktisch verdichtet. In seiner Rede im Sportpalast (1942) heißt es ja:

Ich habe es am 1. September 1939 im deutschen Reichstag schon ausgesprochen, daß das Ergebnis dieses Krieges die Vernichtung des Judentums sein wird. Zum ersten Mal wird das echte altjüdische Gesetz angewendet: Aug um Auge, Zahn um Zahn!

Wer sich in der Öffentlichkeit zu einem Thema (irgendeinem) äußert, sollte sich klar sein, welche Fäden da aufgenommen werden.
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Nachtrag:** Terbuyken hat seinen Text kommentiert:

Und zu “Auge um Auge…”: Niemand von Ihnen, der den Text gelesen hat, hat die sprichwörtliche Verwendung des Wortes nicht erkannt. [?] Ich bin mir sicher, dass die Intention des Zitats bei allen Lesern richtig verstanden wurde, auch wenn bei einer näheren Beschäftigung die umgangssprachliche Verwendung einem wort- und auslegungsfesten Alttestamentarier gegen den Strich gehen mag.

Ich empfehle auch hier dringendst ein Seminar der Bundeszentrale für politische Bildung und eine Beschäftigung mit der Thematik.