Deutschland hat eine Sonderstellung was den Aufbau jüdischer Gemeinden betrifft. Die Einheitsgemeinde ist ein besonderes Gebilde und die Vor- und Nachteile sind schon zigmal diskutiert worden. Es gibt zahlreiche Beispiele für funktionierende Strukturen und einige für nicht funktionierende. Die Anzahl der Diskussionen erscheint endlos.

Im Ausland dagegen wurden und werden Gemeinden häufig von Juden gleicher Strömung gebildet. Am einfachsten lässt sich das an den USA zeigen. Dort haben sich Juden zusammengetan, die Gemeinsamkeiten sehen. Orthodoxe Juden haben eine orthodoxe Gemeinde gegründet, rekonstruktionistische eine rekonstruktionistische etc.

Das Vorgehen war häufig ähnlich: Man ging her und sammelte Jüdinnen und Juden (oder kannte schon welche), die zumindest in der Ausrichtung eine Schnittmenge hatten. Finden sich orthodoxe Juden zusammen, ist eigentlich klar, dass jemand Schacharit machen kann, oder jemand in der Lage ist, eine Torahlesung zu meistern. Bei liberalen (in den USA Reform) Leuten, die sich zusammenfinden, ist vermutlich jemand, der Ahnung hat, wie ein liberaler G-ttesdienst aufgebaut ist und alle anderen wissen zumindest auch auf dem Gebiet des liberalen Judentums ganz gut Bescheid. Sehr nachvollziehbar und folgerichtig. In Grundzügen gibt es auch schon kleinere Gruppen in Deutschland, die sich so bilden (liberales Beispiel, orthodoxes Beispiel). Personen mit gleichen Interessen machen etwas zusammen und organisieren sich. Etablierte Gemeinden könnten diesen Gruppen eine Infrastruktur (im Sinne von Räumlichkeiten, einen Betraum?) bieten und so ein Auseinanderlaufen der Strukturen verhindern. Vermutlich wird es in Zukunft darauf hinauslaufen, dass Gemeinden Infrastrukturanbieter sind und nicht die Inhalte vorgeben oder steuern.

In Deutschland gibt es aber Gruppen, bei denen man den umgekehrten Weg gewählt hat. Beispielsweise werden »liberale« Gemeinden geschaffen, aber niemand in diesen Gemeinden ist in der Lage ein Gebet zu sprechen oder lebt tatsächlich »jüdisch-liberal« oder »liberal-observant«, wie auch immer man das bezeichnen soll.

Einige müssen gar einen Kantor »importieren«, um überhaupt ein- bis zweimal im Monat einen Kabbalat Schabbat zu »hören«. Andere bieten gleich überhaupt keine Gebete an, sondern beispielsweise Russischunterricht am Schabbat. In Bochum soll es gleich zwei liberale Gemeinden geben, keine davon hat bisher einen G-ttesdienst angeboten. Teilweise hat man gar eine bauliche Infrastruktur geschaffen die finanziell recht anspruchsvoll sein dürfte - siehe etwa hier, oder andere Ressourcen aufgetan, die letztendlich nicht genutzt werden - etwa eine Torahrolle, die dann letztendlich doch nicht genutzt wird. Dass es auch inhaltlich arbeitende Gruppen und Gemeinden gibt, zeigt die Eröffnung der Synagoge Hameln (Adrian berichtete aus erster Hand).

Es spricht doch nichts dagegen, Zentren für, beispielsweise, russischsprachige Juden zu eröffnen, oder eine Vereinigung russischsprachiger Juden, aber es spricht einiges dagegen, wenn man sich ein Label aufklebt, welches nicht passt (Gruppen die sich selbst das Label orthodox aufgeklebt haben, konnte ich nicht ausfindig machen) oder erst irgendwann in ferner Zukunft passen soll. Das kann eigentlich auch den Vertretern der jeweiligen Strömungen eigentlich nicht passen. Es ist doch nichts dabei, wenn man aufrichtig ist und eine Gemeinde begründet, die sich nicht durch eine vermeintliche religiöse Gemeinsamkeit definiert, sondern durch eine andere kulturelle Gemeinsamkeiten.