Limmud.de Berlin 2010, Freitag

Ja was denn nun, religiös oder sekulär? Interessiert, desinteressiert, anti-interessiert? Atheist gar? Eher individualistisch, oder eher traditionell? Normkonform oder Reform? In, out, oder dazwischen? Heiße Diskussionen bei der Podiumsdiskussion um die Frage, was denn nun das jüdisch-sein definiert, und wer das Recht der Definition dieser Frage hat. Eigentlich ging es hier weniger um die ewige, nicht schlüssig beantwortbare Frage, wer denn nun ganz genau, präzise und universal gesehen ein Jude ist, sondern eher darum, was jüdisch-sein ausmacht, und wie man sein jüdisch-sein lebt. Das Podium war besetzt mit Vertretern unterschiedlichster Meinungen und Ausprägungen, und das Publikum gab sein Bestes, anhand teils sehr persönlicher Beispiele seine Meinungen zu diesem Thema mitzuteilen. Einerseits kam zur Sprache, wie sehr die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschlands (ORD) die Einheitsgemeinden prägt und hierdurch eine deutliche Gewichtung zugunsten traditioneller Werte und Religiosität setzt, andererseits was das bedeutet für Menschen, die sich zwar durchaus in sozialer, geschichtlicher, kultureller und emotionaler Weise als jüdisch fühlen, sich aber von der orthodox gelebten Religiosität nicht angesprochen oder repräsentiert. Diese Problematik rührt, wie Barbara Spectre (Paidea, Schweden) erläutert, unter Anderem daher, daß das Judentum eine Kombination aus Religion und Nation ist, die weltweit einzigartig ist. So ist es zwar möglich, ein atheistischer Jude zu sein, jedoch, definitionsgemäß, nicht möglich, ein atheistischer Muslim oder Christ.

Durch Ismar Schorsch (Jewish Theological Seminary, New York) wurde als Vergleich die Situation in den USA geschildert, wo es durch eine vollständige Trennung von Religion und Staat eben keine offiziellen religiösen Organisationen mit so ausgeprägtem Einfluß gibt wie die ORD, was zu einer sehr lebendigen Vielfalt an religiösen Ausprägungen führt mit einem großen Spektrum, von der nontheistischen Society for Humanistic Judaism, Renewal, Reconstrucionist, Conservative Judaism, Modern Orthodox, bis zu Charedim und ultraorthodoxen Sekten.
Er betonte, daß Synagogen als Orte des Lernens den Hauptimpuls geben zum Erhalt jüdischer Identität, und daß durch Jugendbildung sowie durch Programme wie Taglit Birthright ein nicht zu unterschätzender Einfluß gegen vollständige Assimilation gegeben wird. In den USA seien etwa 50% aller Juden sekulär, was er mit Desinteresse an religiösen Inhalten sowie organisierter Religion begründete. Hier widersprach Judith Kessler, die sich als sekulär, jedoch durchaus interessiert beschrieb und aussprach gegen die Monopolstellung der Orthodoxie als definierende Richtung jüdischer Identität. Da in Deutschland viele jüdische Menschen mit sehr unterschiedlichen Hintergründen leben sollte es auch für areligiöse bzw sekuläre Juden Möglichkeiten geben, sich im jüdischen Sinne weiterzubilden und weiter zu entwickeln. Dank iPod, so Judith, könne man sich heutzutage auch auf dem Fahrrad weiterbilden und so zum Beispiel den Tanach als Hörbuch herunterladen.

Weiteres zum Thema der jüdischen Identität wurde durch Alex und Julia in einem Workshop „web 2.0“ zu jüdischen blogs und Webseiten diskutiert. Ja, Chajm, auch diese Seite wurde vorgestellt! Vieles spricht dafür, daß gerade für jüngere Generationen das Internet eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Identitätsbildung bei Juden spielt, durchaus auch bei religiösen, die Gleichgesinnte ihren Alters zum Austausch suchen, diese aber nicht in ihrer Gemeinde finden.

Zu weiteren Freitagsthemen folgt ein weiterer Beitrag….

Von Naomi

Gastautorin im Blog. Sie berichtet aus der weiten Welt.

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