In der Diskussion und schon im Text zur gegenwärtigen Situation des Judentums in Deutschland wurde immer wieder gefragt, warum einige Gemeinden große Synagogen bauen, obwohl der Kurs und der Ausblick für die nächsten Jahre nicht ganz klar ist.
Es scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass Synagogen aus einer lebendigen Gemeinde heraus wachsen sollen und dementsprechend angemessen proportioniert sein müssen.
Im kommenden Monat (Mitte März 2010) wird eine Synagoge eröffnet, von der noch nicht ganz klar sein dürfte, wie es in den nächsten Jahren weitergeht. Die Synagoge wird 90 Plätze haben, die bauende Gemeinde, nämlich Herford hat etwa 100 Mitglieder. 2002 waren nur etwa 11 Gemeindemitglieder unter 21. Die Frage nach der Zukunftsperspektive steht also im Raum, auch wenn die Gemeinde durch ein paar Personen unterstützt wird, die der Gemeinde in Bielefeld den Rücken gekehrt haben (siehe hier), die selber nur etwas mehr als 280 Mitglieder zählt. Ambitioniert wäre also eine passende Bezeichnung für das Gesamtprojekt.
Auf den Internetseiten des Jüdischen Kulturzentrums Bielefeld findet man auch eine Kurzdarstellung des Projekts „Synagoge Herford“
Die Synagoge selbst ist nach dem Vorbild der Vorkriegssynagoge gestaltet worden und gleicht ihr äußerlich; das dürfte für einen Synagogenneubau in Deutschland einmalig sein. Architektonisch ist es also ein interessantes Projekt. Nebenan befindet sich das Gemeindehaus.
Die Baukosten belaufen sich auf 1,7 Mio. €, wobei jeweils ein Drittel von der Gemeinde, der Kommune und dem Land NRW getragen wird.
Nur rein optisch: schön! Kein Architekt, der sich “ambitioniert” ausgetobt hat.
Schade, dass das Geld stattdessen nicht in Gemeindearbeit gesteckt wurde…
@Juna Architektonisch sicherlich interessant! Das stimmt.
Kein Geringerer als ‘? (G-tt) Höchstpersönlich verrät uns am Ende der heute morgen verlesenen ????? (Haftorah) das folgende Erfolgsgeheimnis, wie erbaute G-tteshäuser ihre Funktion erfüllen:
R. Dr. Mendel Hirsch, der älteste Sohn von R. Samson Raphael Hirsch, kommentiert dazu wie folgt (1896):
Wie schön wäre es doch, wenn diese Gedanken von den jeweiligen Gemeindevorständen und sonstigen Bauherren beherzigt würden…
YM
In Ergänzung dazu bin ich gestern auf folgendes gestossen (worden):
???, ??? ???? ??-?????: ????? ???-??? ????? ????, ????
“Und dies ist, was du auf Altare vollziehen sollst: einjährige Schafe, dem Tage entsprechend, zwei, stets.” (Schmot/Exodus 29:38)
Dazu kommentiert R. Samson Raphael Hirsch:
“Mit dem vorangehenden Verse waren die Vorschriften über die Herstellung und Einweihung des Heiligtums und der Priester vollendet. Allein nicht die Herstellung und Einweihung des Tempels und der Priester erwirkt an sich das in dem Satze
???? ??, ????; ??????, ????? (Schmot 25:8) verheissene Ziel der G-ttesgegenwart im Volke (siehe daselbst), erst die im Heiligtum durch die Priester zum Ausdruck zu bringende, immer zu wiederholende, tägliche Hingebung des Volkes an das durch das Heiligtum vergegenwärtigte Ideal der jüdischen Bestimmung erreicht dieses Ziel, macht das ???? zur Stätte der ?????, und dies ist der Inhalt der Verse 38 – 46 ausgesprochenen Verwirklichung des mit dem ganzen Heiligtumsbau zu erreichenden Zweckes. Dieser Zweck ist mit der Herstellung des Tempels nicht ein für alle mal erreicht, sondern nur ermöglicht. Erreicht wird er nur, wenn das Heiligtum durch die steten Hingebungshandlungen des Volkes, gleichsam die nationalen Atemzüge, Leben gewinnt und wirksam wird. Diese den Zweck des Heiligtums bedingende ewige Hinbegung des Volkes an das Ideal des g-ttlichen Gesetzes, dem das Heiligtum erbaut ist, ist die Bedeutung des Thamidopfers…”
Interessantes zum Thema Gemeinde/-aufbau bietet evtl.:
http://www.dorsten2010.de/angekommen.html
+ begleitende Veranstaltungen
In der “Jüdischen Zeitung” vom 8. Tewes 5770/25. Dezember 2009 befindet sich auf Seite 9 ein Artikel, der sich mit der Zukunftsperspektive von Dänemarks Juden beschäftigt. Dort heisst es:
@Yankel Das liegt doch eigentlich auf der Hand, oder? Dass es darum geht (wir schreiben uns das hier ja häufig gegenseitig in die Kommentare) eine Gemeinde/Gemeinschaft zu organisieren. Das erscheint mir schwieriger zu sein, als die Baukosten zu stemmen…
@Chajm:
Ich verstehe den von mir oben zitierten Text aber so, dass es nach Ansicht des Verfassers eine vergebliche Liebesmüh ist, eine Gemeinschaft in einer Gegend ohne “kritische Masse” aufbauen zu wollen.
Es ergibt sich die Frage: Wer zählt zur “kritischen Masse”? Natürlich gibt es in D numerisch mehr Juden als im erwähnten Dänemark. Aber wer ist erreichbar für Bemühungen, jüdische Gemeinschaften zu organisieren?
@Yankel Ja, das habe ich auch verstanden. Die kritische Masse ist aber wohl eher nicht die Anzahl der Gemeindemitglieder, sondern der Anzahl der Juden in der Stadt oder im Umkreis, die observant (nach irgendeiner Strömung) leben und deshalb Interesse an einer vitalen Gemeinde haben. Wenn es mehrere gibt und sie sich kennen, ist es fast zwangsläufig, dass sie sich vernetzen und eine Gemeinschaft bilden.
Wir beobachten ja häufig den umgekehrten Weg: Eine Struktur wird errichtet von der man hofft, dass sie sich mit Leben füllt.
@Chajm:
Mir gefällt die Formulierung!
Wenn die errichteten Strukturen den Willen und die Fähigkeit zu “Outreach”/”Kiruw” hätten, wäre diese Reihenfolge auch in Ordnung…
Outreach würde ich eher als eine Bemühung sehen, deren Früchte Menschen sind, die sich Strukturen wünschen und diese aufbauen. Das wäre doch (auch finanziell und organisatorisch) günstiger?
@Chajm:
Aha! Wir brauchen also Strukturen, die Menschen hervorbringen, die Strukturen hervorbringen 😉
Das erinnert mich an einen Slogan, den ich auf einem Weizmann-Institut-Touristen-T-Shirt gesehen habe:
http://www.welt.de/die-welt/kultur/article6752487/In-der-Kuppel-scheinen-die-Sterne.html
Vielleicht bin ich irgendwie auf einem vollkommen falschen Dampfer unterwegs. Meiner Meinung nach (oben erklärt), sehe ich keine Zukunft für eine winzige Gemeinde, deren Altersstruktur erahnen lässt, dass sie nun schrumpft. Nun lese ich das:
hier: http://www.westfalen-blatt.de/nachrichten/regional/herford.php?id=36429&artikel=1
Soso, das Westfalen-Blatt hat Frau Knobloch sogar promoviert…
Renaissance heisst Wiedergeburt. Es wird ja keine Aussage darüber gemacht, ob das Kind bei der Geburt lebt und wie seine Lebenserwartung ist…