Die knappe Beschreibung der Lesung von Amos Oz in der Bochumer Jahrhunderthalle (noch knapper und uninformativer schaffte es nur die Lokalpresse) enthielt einige Elemente nicht. Zum einen meine Verwunderung darüber, dass ich es für selbstverständlich hielt, dass Amos Oz in diesem Jahr den Nobelpreis für Literatur erhält. Sein literarisches Werk ist breit gefächert und sein Vermögen, mit Sprache umzugehen, spiegelt sich sogar in den deutschen und englischen Übersetzungen wieder. Sein politisches Engagement, welches nicht immer und überall in gleichen Maßen geschätzt wird, ist bekannt und wird in Deutschland häufig von den falschen Personen beklatscht, weil sie nur einzelne Ausschnitte betrachten. So lehnt er zwar die Siedlungstätigkeit vehement ab, ist aber ausdrücklich kein Gegner des Zionismus und der zionistischen Idee. So befürwortete er auch Ideen, die nicht bei jedem antizionistischen Applaudierer mit Begeisterung aufgenommen wurde. Die israelische Sperranlagen etwa, die Israel vom Westjordanland abgrenzen – aber nicht ihren Verlauf (siehe auch hier). Er befürwortete auch den letzten Krieg im Libanon, aber nur im Rahmen von Selbstverteidigung (siehe hier).
Mit einem Blick in die deutsche Leserschaft, war ich mir nicht immer sicher (und bin es noch immer nicht), welcher Aspekt seines Wirkens von den deutschen (nichtjüdischen) Lesern besonders geschätzt wird. Ich bin mir nicht einmal ganz sicher, ob die Leserschaft das selber sagen kann. Auch wenn er der meist übersetzte israelische Schriftsteller ist, so stellt sich diese Frage für Deutschland, denke ich, ganz speziell.
Er selber sagte am Sonntag, dass er in Israel nicht einmal eine Geschichte über das Taschengeld eines Mädchens schreiben könne. Sofort würde man darin eine Anspielung an die Wirtschaftskrise erkennen, in der Mutter die Öffentlichkeit sei und in der Tochter die Jugend des Landes. Etwas später fiel mir ein, woher ich das Argument schon kannte:
You’re always expected to have something to say about the political situation.
“Look, if I write a story about a father, a mother, a daughter and an allowance, someone will say the father is the government, the mother is the public, the daughter is the younger generation and the allowance is the economic crisis. What can I do? The new book takes place in Israel more or less, but it’s more about the human situation than the Israeli one. I know that people read the Israeli situation into it, because the Israeli situation is so painful that people read it into everything. I can’t tell people how to read.” von hier – HaAretz
Die FAQ der oberflächlichen Leser an den Autor, hat Oz bereits in seinem vorletzten, kurzen Roman, »Verse auf leben Tod« (hier bei amazon) verarbeitet: » Jeder Schriftsteller kennt und fürchtet die »wichtigsten Fragen« der Leser. Von »Warum schreiben Sie?« über »Sind Ihre Geschichten autobiographisch oder erfunden?« zu »Was wollten Sie mit Ihrem letzten Buch sagen?«.
Wer einen Blick in »Geschichten aus Tel Ilan«, ?????? ???? ???? also »Bilder aus dem Dorfleben« wirft, der versteht schnell, worin die Meisterschaft besteht, nämlich im gekonnten Aufspannen eines Mikrokosmos, in dem alle miteinander interagieren und in dem Personen durch scheinbare Nebensächlichkeiten einen Charakter erhalten.
Tel Ilan ist ein fiktiver Ort im Galil, der umgeben ist von Weinbergen und Obsthainen. Der Ort hat Geschichte, geht auf die Gründer des Staates zurück, ist aber heute Rückzugsgebiet für Menschen aus der Stadt und bietet ihnen dementsprechend Galerien, Boutiquen und Restaurants. Der Ort lebt zum größten Teil von den Wochenendtouristen und zwischen ihnen die Bewohner. Sie werden vorgestellt und verheddern sich irgendwann in Geschichten, die ein wenig an Kafka erinnern und zuweilen etwas deprimierend wirken. Den Beginn kann man hier online lesen.
Geschichten aus Tel Ilan bei amazon.de
Zum Zitat: Oz ist ja tatsächlich als exzessiver Mehrfach-Verwerter seiner Gedanken berüchtigt – mir fällt z.B. ein, dass sich das Bonmot: vor ’48 hätte es in Europa allerorts geheißen: “Juden, ab nach Palästina!”, ein paar Jahrzehnte später dagegen überall: “Juden, raus aus Palästina!”, in zumindest 2 Büchern und wohl noch mehr Interviews findet… Aber, wenn’s kluge Dinge sind, die da recycelt werden (wie bei Oz ja in der Regel der Fall), ist ja auch nix dagegen einzuwenden…(c;
@Chajm: Um ehrlich zu sein, ich habe das Bild zum Artikel nicht ganz verstanden.
Bild? Das Bild von Amos Oz zeigt den Autoren des Blogbeitrags und den Autoren dessen, über das der Blogbeiträger schreibt. Außerdem zeigt es kuluturelle Lernung aus erster Hand…
Bild! Der persönliche Erinnerungsalbumwert hat sich natürlich sogar mir erschlossen. Aber eben nicht so ganz der Zusammenhang zum Inhalt des Artikels. Erinnert so ein bißchen an Zweiblum, wenn Dir Terry Pratchet Dir was sagt. Das Bild an sich hat natürlich was! Zwei Männer mit Buch unterm Arm vor einem Fahrstuhl. Der eine groß, jünger, schlank mit einem dünnen Buch, der andere älter, runder, kleiner mit einem dicken Buch. Irgendwie programmatisch. 😉
Zweiblum? Sorry, bei Terry Pratchett muss ich passen. Ich weiß von dieser Scheibenweltgeschichte, aber mehr weiß ich darüber nicht.
Der programmatische Ansatz gefällt mir besser. Junger Mann mit dünnem Buch – älterer Herr mit dickem Buch…
Sag mal wie groß bist du Chajm?
@Serdar: Ungefähr 193 cm 😉 Oz ist einfach kleiner als man so gemeinhin denkt. Das sieht man auf den meisten Fotografien natürlich nicht…
@Baleblog: Zitat aus der Lokalpresse:”Ein international gefeierter Autor an der Ruhr, im Westpark, das bestätigte noch einmal die Qualität und das Niveau, das die Festpielwochen in der ersten Saison von Intendant Willy Decker im Besonderen ausgezeichnet hat.”
Nun, ich glaube dieser Satz bringt es ziemlich auf den Punkt. Ich glaube nicht, dass man Oz um seinetwegen oder wegen seines Werkes eingeladen hat, sondern um der Ruhrtrienale einen Nimbus zu verleihen, den sie selbst nicht hat. Hier hat man ganz klar mit der Nobelpreisverleihung spekuliert. Daher war den Veranstaltern auch komplett egal, dass die meisten Veranstaltungen parallel zu den hohen Feiertagen liegen.
@Chajm
1,93m! Und wie ist die Luft da oben 🙂
So, dass ist jetzt hier zum Artikel absolut unpassend, aber trotzdem spannend,
Kriegsdienstverweigerung in Isroel ohne antizionistischen Hintergrund
( oder doch ???):
http://www.taz.de/1/politik/nahost/artikel/1/soldat-sein-ist-wie-atmen/
@Shabbes-Goi
Was Kriegsdienstverweigerung betrifft, gibt es mit der Türkei viele Parallelen. Da liegt bei beiden vieles im Argen.