Einige, persönliche, introspektive Gedanken nach Jom Kippur. Auf der anderen Seite von Jom Kippur angekommen… ich hoffe, alle anderen Leserinnen und Leser auch. Dieser Jom Kippur war für mich ein Novum, weil ich das erste Mal die Neilah nicht erlebt habe. Kurz vorher demonstrierte der Körper, dass er seine eigene Meinung zum Ausbleiben von Speis und Trank hatte und ermöglichte seinem Bewohner eine horizontale Perspektive. Vollständiger Kollaps. Sehr unangenehm. Angenehm war es zuvor in der Synagoge. Sehr lebendig das Spiel darum, wann man den Torahschrank öffnet und wann er geschlossen bleibt. Der Rabbiner, der zweite Vorbeter, sein Begleiter und ich hatten offenbar vollkommen andere Machsorim mit jeweils eigenem Nussach. Es stellte sich heraus, dass die russischen Machsorim Nussach haAri, also Chabadmachsorim waren, der des Rabbiners wohl die Machsorauflage des Rinat Israel, der Begleiter eine Ausgabe des neuen Machsors aus Frankfurt. Ich nutzte eine ArtScrollausgabe (im nächsten Jahr wohl eher Koren). Früher wurde der Rödelheimer Machsor verwendet - der enthält jedoch kein Untane Tokef für Jom Kippur. Dynamik also immer dann, wenn jemand aufstand, um den Vorhang zur Seite zu ziehen und viele der Meinung waren, dass gerade jetzt nicht Zeit dazu sei… Eine große Mechilah erging bereits hier, auf der anderen Seite hatte ich auch fest mit einer solchen gerechnet von Personen, auf die ich im vergangenen Jahr zugegangen war und denen ich die Hand reichte (Stichwort „Wir haben bereits jemanden der das macht“ und dann Wochen später wieder fragt, wer etwas ehrenamtlich übernimmt). Kurz vor Jom Kippur verstarb aber auch ein jüdischer Mann aus meinem Umfeld, der kein entsprechendes Begräbnis erhalten konnte, weil man ihm die Mitgliedschaft in der Gemeinde verwehrte. Er wandte sich erst im letzten Abschnitt seines Lebens der Gemeinde zu und fand, es war Zeit, sich vielleicht noch ein wenig zu engagieren, auch wenn ihm der religiöse Zugang fehlte. Die wollte ihn jedoch nicht aufnehmen und so bestatten ihn nichtjüdische Verwandte so, wie sie es für richtig hielten. In kurzen Worten: Im kommenden Jahr gibt es noch ausreichend Möglichkeiten, aus der Welt einen besseren Ort zu machen.