Keine abstrusen Vergleiche

Irgendwann erzählte mir jemand voller Überzeugung, er esse nur Obst, welches von selbst auf den Boden gefallen sei und schon gar nichts, was irgendwo gezüchtet worden sei. Heute weiß ich, dass diese Menschen sich wohl Frutarier (wird zusammen gesprochen, also nicht Frut-Arier) nennen. Es soll nichts verzehrt werden, was die Zerstörung einer Pflanze beinhaltet. Fand ich seltsam, war aber bis dahin in Ordnung. Das Konzept fand ich seltsam, aber nicht verwerflich. Leider haben leidenschaftliche Anhänger solcher kleinen Bewegung aber auch einen gewissen missionarischen Ehrgeiz. Als er sich in Rage redete und ich gedanklich schon aus dem Gespräch ausgestiegen war, kam man auf Schnittblumen und dass die Züchtung von Blumen zu deren Verkauf verwerflich sei. Dann fiel aber die Schlüsselformulierung. Die Blumenzüchtungen im Nachbarland seien „niederländische Gewächshaus-KZs“. Dem vernünftigen Menschen fällt dazu nicht mehr viel ein und der Früchteextremist versteht die Aufregung nicht, wenn man eine Tulpenzüchtung nicht mit der industriellen Vernichtung einer Menschengruppe verglichen wissen möchte.
Die PETA startete 1994 die Kampagne „Der Holocaust auf Deinem Teller“ und warb zuvor sogar um die Unterstützung von Paul Spiegel. Der war natürlich nicht so begeistert, aber die PETA setzte sich über die Gefühle von Opfern und deren Nachkommen hinweg und zog ihr Projekt durch. Was dann folgte, fasst das Bundesverfassungsgericht so zusammen:

Im März 2004wollte der Beschwerdeführer eine Werbekampagne unter dem Titel “Der Holocaust auf Ihrem Teller” beginnen. Dabei sollte unter anderem auf Plakatwänden jeweils ein Foto aus dem Bereich der Massentierhaltung neben einer Abbildung von lebenden oder toten Häftlingen von Konzentrationslagern aus der Zeit des Nationalsozialismus gezeigt werden. Die Darstellungen sollten jeweils mit einer kurzen Beschriftungversehen werden, die so angelegt war, dass sie vom Betrachter als aufbeide Fotografien gleichermaßen bezogen angesehen werden musste. Die Kläger der Ausgangsverfahren waren seinerzeit der Präsident und die Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland, die als Kinder den Holocaust, dem ihre Familien teilweise zum Opfer fielen,überlebten. Sie beantragten beim Landgericht gegen den Beschwerdeführer eine einstweilige Unterlassungsverfügung, der entsprochen wurde. Die dagegen gerichtete Berufung des Beschwerdeführers verwarf dasKammergericht. Die Kläger verfolgten ihr Unterlassungsbegehren sodann im Hauptsacheverfahren erfolgreich weiter. Die eingelegte Berufung desBeschwerdeführers gegen das stattgebende Urteil des Landgerichts wies das Kammergericht mit Beschluss zurück.

PETA legte Verfassungsbeschwerde ein, diese wurde jetzt zurückgewiesen. Die gesamte Begründung ist hier nachzulesen. Traurig, dass man nicht selber genug Anstand besessen hat, die Kampagne einzustellen und sie gegen den Willen von Betroffenen durchdrücken wollte. Eine weitere, zusätzliche Demütigung. Jetzt musste das Bundesverfassungsgericht den gesunden Menschenverstand ersetzen.

Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert