Purimspil in Linz

Flyer zum Purimspil
Flyer zum Purimspil

Wer mich etwas näher kennt weiß, dass ich gewisse Vorbehalte gegenüber den Bewohnern der österreichischen Republik habe, weil mir bei mehreren Wienaufenthalten (und einem in Graz) mehr als einmal mitgeteilt wurde, dass „Fremde“ eigentlich nicht nach Österreich gehörten. Natürlich traf das nicht auf alle Österreicher zu, die kennenlernen durfte. Unter diese Kategorie der „Fremden“ fielen natürlich auch Juden. Dabei war Wien einmal Hauptstadt eines unglaublich multiethnischen Staates und ist eine sehr schöne Stadt und der Stadttempel ist beeindruckend. Außerdem blättere ich gerne in der PRESSE und dem STANDARD. Die seltsamen Wahlergebnisse dagegen trugen zu den Vorbehalten bei.
Nun trägt die Kulturhauptstadt Linz 2009 dazu bei, dass ich Interesse daran habe, nach Linz zu reisen. Hier wird seit gestern (Schuschan Purim) das Purimspil von David Maayan aufgeführt. Hier wird Purim mit der jüngeren Geschichte zusammengeführt:

David Maayan entwickelt aus den Geschichten der PerformerInnen selbst eine künstlerische Realität für sie und das Publikum. Die stets gegenwärtige Vergangenheit des Ortes spielt eine wesentliche Rolle, wie auch der Umstand, dass sie eine Weinkellerei beherbergt. Unterschwellig schwingt während der gesamten Performance die Ungewissheit mit, was in diesem Stollensystem tatsächlich geschehen ist. Diese Frage schwebt ständig im Raum. In Gruppen aufgeteilt, erkundet das Publikum im ersten Teil die Geschichte des jeweiligen Schauspielers, streift durch die unterirdischen Gänge, taucht ein in eine alternative Realität.
In jeder der Geschichten stellen die Stollen eine andere Welt, eine andere Wirklichkeit in Zeit und Raum dar. Das Publikum trifft auf Personen, die dort leben, als ob der Krieg nie aufgehört hätte. Im zweiten Teil wird das Publikum zusammengeführt und erlebt hautnah die Purimtradition, das Feiern der Rettung der persischen Juden. Die biblische Geschichte wird traditionsgemäß nacherzählt und zum Mitfeiern sind alle herzlich geladen! von hier

Die Art der Aufführung wird sicherlich nicht zum ersten Mal gewählt, aber das Gesamtprojekt klingt doch interessant und herausfordernd, gerade das Purimspiel eignet sich ja für das Spiel mit Verfremdung und Tausch von Identitäten.
Vielleicht doch ein Grund nach Linz zu reisen…

Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

17 Kommentare

  1. Hört sich wirklich sehr vielversprechend an und der Flyer sieht sehr spannend aus.
    Wir hier im Pott sind ja in 2010 ebenfalls Kulturhauptstadt,
    aber in einen ähnlichen Genuß werden wir wohl nicht kommen,
    zumindest nicht in Bochum. Denn der Intendant des Bochumer Schauspielhauses,Elmar Goerden, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont, er stamme aus einer jüdischen Familie,
    was immer sich auch dahinter verbergen mag, hat ein überaus ambivalentes Verhältnis zum Judentum.
    Z.B. hat er es am Neunten November letzten Jahres, 2008, unter einen Hut gebracht,
    morgens um 11.oo eine Matinee in der Bochumer Synagoge mit den “Bochumer Verhandlungen” zu geben,
    einer Eins zu Eins Rezitation, bei der mit verteilten Rollen die Prozess-Akten zur Brandstiftung der Bochumer Synagoge 1938
    gelesen werden, und zwar so, dass nicht nur die Zuschauer, sondern auch zwischendurch die Akteure einnicken,
    und am selben Tag abends um 8.oo in den Kammerspielen den “Kaufmann von Venedig” zu geben, bei dem er selbst Regie geführt hat. Eine Inszenierung, die sich nicht nur darauf beschränkt, die notwendigen Bezüge zwischen Shylock und dem damals aktuellem Börsenkrach möglichst plastisch herzustellen, sondern Shylock ohne Minjan aber dafür mit Thallit beim
    Kaddish Jatom dem schenkelklopfenden Gelächter der Jugendlichen im Publikum vorzuführen. Nach eigenem Bekunden war es ihm wichtig, den Juden nicht immer nur als Opfer, sondern auch mal als Täter auf die Bühne zu bringen.
    Na ja, Chuzpe muß man eben haben, wenn einem sonst nichts einfällt.
    http://www.derwesten.de/nachrichten/wr/2008/10/13/news-82905992/detail.html

    Übrigens, wenn jemand hier mamaloschen-mächtig ist und Langeweile hat,
    ich hätte da noch eine jiddische Version vom “Golem” von Leivik in hebräischer Schrift,
    die noch ihrer Transskription in die lateinische Schrift harrt. Wenn jemand Interesse hat,
    sind ungefähr 230 nicht engbedruckte Seiten, die ich gerne bei Bedarf
    und Interesse als PDF zumailen kann.
    Gute & schöne Restwoche noch,
    Euer Shabbes-Goi

  2. Ich habe die vorherige Inszenierung des Kaufmanns in Bochum gesehen (das muss so fünf Jahre her sein) und die fand ich recht gelungen, auch ohne Tallit und „Gedöns“. Das scheint ja ein beliebter Stoff zu sein…

    Sag mal, wäre es nicht einfacher, die hebräischen Schriftzeichen zu lernen, statt die Zeit in eine Transliteration zu investieren? Das ist wirklich kein Geheimnis… 😎

  3. @Chajm: “Sag mal, wäre es nicht einfacher,…” Stimmt, wäre viel einfacher. Ich bin aber um ehrlich zu sein,auch nicht davon ausgegangen, dass hier jemand so viel Langeweile hat. War nur mal so ein Versuch in´s Blaue hinein aus reiner Faulheit.
    @Chajm: “Das scheint ja ein beliebter Stoff zu sein…” ist es immer wieder, und ich versteh es nicht, warum, denn das Stück an sich ist ein ziemlicher Schmonzes, bei dem Shylock die einzig spannende Figur ist, aber dafür lohnt es eigentlich nicht den Aufwand einer Inszenierung.
    Gitt Shabbes dann
    Dein
    Shabbes-goi

  4. … ich habe die Uraufführung am 11. März gesehen. Tolle SängerInnen (wie Ida Kelarova) mit ebenso feiner Band und ein äußerst ambitioniertes Schauspielensemble. In den zwei Teilen des Abends hat man sich sehr viel vorgenommen – und das ist vielleicht auch ein wenig die Crux des Ganzen: Wer nicht wirklich vorab intensiv das originelle Programmblatt studiert hat und zusätzlich noch das Buch “Esther” der Bibel gut kennt, war begeistert (so ging es meinem Freund), ansonsten blieben weite Teile des Abends ohne rechte Verbindung zueinander. Der Cembran-Celler in Linz ist perfekt als Veranstaltungs-Ort adaptiert worden und es ist ein großes Verdienst der Kulturhauptstadt in diesem Jahr Orte zu bespielen / und deren Geschichte zugänglich zu machen, die sonst im Nicht-Kulturhauptstadt-Alltag eher untergehen.
    Viele Grüße, Adele

  5. So, nach dem Test der vierte Kommentarversuch:
    Hier ein paar Eindrücke von einer Art Purimspil der ganz, ganz anderen Art, für alle, die es eventuell am letzten Sonntag verpasst haben sollten ,-) “Am Anfang – Bereschit” eine Schöpfungsgeschichte, die nicht sechs Tage, sondern 10 Milliarden Jahre in 50 Minuten zeigt. Auch ohne Transskription sogar im Original allgemein und universal verständlich, da fast ohne Worte: http://www.flickr.com/photos/30778128@N02/sets/72157615246822326/show/ Gitt Woch, Euer Shabbes Goi P.S.: Was ist eigentlich der hebräisch-halachische Fachbegriff für Eitelkeit ?

  6. So, wenn der Blog keinen Link annehmen will, wahrscheinlich weil noch Shabbes ist, dann über Umwege:
    hier ein paar Eindrücke von einer Art Purimspil der ganz, ganz anderen Art, für alle, die es eventuell am letzten Sonntag verpasst haben sollten ,-) “Am Anfang – Bereschit” eine Schöpfungsgeschichte, die nicht sechs Tage, sondern 10 Milliarden Jahre in 50 Minuten zeigt. Auch ohne Transskription sogar im Original allgemein und universal verständlich, da fast ohne Worte.
    Einfach oben im kommentarkopf auf Shabbes-goi klicken, dann kommt man hin!
    Gitt Woch, Euer Shabbes Goi P.S.: Was ist eigentlich der hebräisch-halachische Fachbegriff für Eitelkeit ?

  7. > Was ist eigentlich der hebräisch-halachische
    > Fachbegriff für Eitelkeit?

    “Havel”, Wurzel He-Beth-Lamed, ???
    Siehe auch Kohelleth/Ecclesiastes/????.
    Man beachte auch den Namen des Brudes von Kain…

    Das verwandte Konzept Hochmut wäre “Gaawah”, ????.

    YM

  8. Habe eben in meinem bescheidenen AnfängerBLOG ein Posting über das Purimspil in Linz eingestellt. http://nante1.twoday.net/stories/5604806/ und war dann neugierig, ob sich noch andere Mitglieder des WEB dazu geäußert haben.
    Dabei stieß ich auf diese – sachkundigen und differenzierten Insidernachrichten.

    Ich habe mich natürlich – auf goische Art *lach* über die Hintergründe des jüdischen Purimfestes sehr genau informiert — kenne auch aus der Küche die Hammantaschen – s gibt auch ein sehr nettes Lied dazu –
    als Historikerin weiß ich auch um die Verknüpfungen der Symbolik .

    Danke, dass ich Eure Stellungnahmen auch lesen durfte.

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