In den Kommentaren zu den neuesten Entwicklungen um den früheren Rabbiner Baruch Rabinowitz habe ich die Frage gestellt, was eine Gemeinde oder religiöse Vereinigung erfolgreich macht. Die Antwort darauf hat Kommentator und Blogger Roman indirekt auch schon beantwortet:

Ja, das kann man kopieren und wir bieten in der Gemeinde u.a. auch Jugend- und vor allem Familienarbeit an. Die Resonanz ist aber relativ deprimierend. Denn uns fehlt ein - aus meiner Sicht wesentliches - Element, wir versuchen keine Parallelgesellschaft zu bilden. Jede evangelikale Gemeinde die ich kenne, versucht sich aber von der Welt abzuschotten. Kurz: “Liebe nicht die Welt” Chabad distanziert sich ja ebenfalls von der Gesellschaft und man kann auch etwas sehr typisches sehen. Erfolgreiche jüdische Jugendliche treten aus der Gemeinde aus, sobald sie anfangen Geld zu verdienen. Sehen also nicht ein, warum sie für eine (Pseudo- Religiöse Gemeinschaft zahlen sollen). Aus diesem Grund können sich jüdische Gemeinden auch nicht aus eigenen Mitteln finanzieren. Kommentar hier

Die Antwort gibt er also selber: Eine Gemeinschaft die keine eigenen Werte aufstellt und lediglich einen lockeren sozialen Bezugsrahmen anbietet, wird nicht funktionieren. Die Gemeinschaft entsteht erst durch gemeinsame Werte und diese dürfen nicht beliebig sein. Das ist offensichtlich ein Mechanismus der Evolution. So sagt es jedenfalls der Religionsanthropologe Richard Sosis in seiner Arbeit „Cooperation and Commune Longevity: A Test of the Costly Signaling Theory of Religion“ (hier lesbar):

The costly signaling theory of religion posits that religious rituals and taboos can promote intragroup cooperation, which is argued to be the primary adaptive benefit of religion. To test this theory, the authors collected historical data on the constraints and ritual requirements that eighty-three 19th-century U.S. communes imposed on their members. All communes must solve the collective action problem of cooperative labor to survive; thus, they are an ideal population to assess the impact of ritual and taboo on intragroup cooperation. von hier

Im Fall von Chabad kann man aber nicht von Abschottung reden, weil ja Chabad nicht von seinen Anhängern fordert, nicht am Gemeinwesen teilzuhaben. Es gelten aber innerhalb der Gruppe/Strömung klare Regeln und das macht ja eigentlich das Judentum aus. Das Judentum ist ja keine Philosophie. Die ZEIT brachte in dieser Woche einen Beitrag darüber und erklärt einige Begriffe:

Evolutionsbiologen sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem costly-to-fake-principle, von einem »schwer zu fälschenden Signal«: Je mehr man einer Gemeinde opfern muss, umso geringer ist die Neigung, sein Engagement für die Gruppe nur vorzutäuschen. Und religiöse Vorschriften und Gebote eignen sich – wie Sosis Arbeiten zeigen – hervorragend als kostspielige Signale. von hier (Kasten)

Interessanterweise bildet dies auch eine Entwicklung vieler liberaler Strömungen ab:

Auch das Reformjudentum hat zunächst viele Rituale verworfen, bis man erkannte, dass ohne Rituale einer Gemeinde die Struktur und die Bindung fehlen, und es vor einigen Jahren wieder eine Rückkehr zu alten Gepflogenheiten gab. Aber die »kostspieligen Signale« funktionieren nur, wenn ihr Preis angemessen ist und akzeptiert wird. von hier

Kurzum: Man kann die Leute nur mit inhaltlichen Dingen an die Gemeinden binden. Über Sozialdienste mag das kurzfristig funktionieren, aber die emanzipierten jüngeren Generationen werden keinen Wert mehr darauf legen und der Gemeinden den Rücken kehren. Die von Roman berichteten Zwangsmaßnahmen (keine Beerdigung auf einem jüdischen Friedhof) wird auch kein jüdisches Leben aus dem Hut zaubern.