Telepolis wartet heute mit einer wahrhaften Enthüllung auf und titelt mit »Sind Palästinenser die echten “Kinder Israels”? . Spätestens an dieser Stelle schlafen diejenigen weg, die sich« schon seit längerer Zeit mit Antisemitismus beschäftigen. Entweder der Jude ist als Semit hier irgendwie fremd oder zur Abwechslung hat der Jude überhaupt keine semitischen Wurzeln.
Der Artikel auf Telepolis beschäftigt sich mit der zweiten, auch recht weit verbreiteten Hypothese. Nicht jedoch irgendwie auf einer Metaebene, sondern beschäftigt sich mit dem israelischen Autoren Schlomo Sand, der versucht hat, der Hypothese einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. In diesem Jahr erschien in Israel sein Buch – Wann und Wie wurde das jüdische Volk erfunden/erschaffen? Die französische Ausgabe titelt etwas klarer Comment le peuple juif fut invent – De la Bible au sionisme
Eine Zusammenfassung des Buchs für Eilige: Es ist Mythos, dass die Juden der Diaspora aus Israel stammen. Alle Juden Nordafrikas und Europas stammten von Völkern oder Gruppen ab, die von wenigen jüdischen Emissären missioniert worden sind. Im Wesentlichen wiederholt er auch die, gerade in antisemitischen und antizionistischen Kreisen beliebte These, die heutigen aschkenasischen Juden seien überwiegend Nachkommen der Chasaren und nicht der Israeliten. Sie stammt im Wesentlichen von Ernest Renan, einem französischen Philosophen und Antisemiten, der von 1823 bis 1892 lebte. Heute gilt die These als widerlegt und ist an sich ein Mythos. Heute wissen wir aus Untersuchungen (wie dieser hier), dass sefardische Juden und aschkenasische Juden miteinander verwandt sind. Nicht zu vergessen die Tatsache, dass die Kohanim (viele von ihnen) ein gemeinsames Y-Chromosom haben.
Entdeckt und überprüft hatte das Sands Kollege Professor Karl Skorecki von der Uni Haifa. 1997 entdeckte er bei Kohanim einen hohen Anteil ganz bestimmter Y-Chromosom-Marker. Folgestudien anderer Forscher datierten den Ursprung der gemeinsamen DNA 3000 Jahren zurück. Man nahm nun den Cohen modal Haplotype an, einen Satz von Y-Chromosom-Markern die den Kohanim gemeinsam ist. Übrigens gibt es auch bei nichtjüdischen Gruppen signifikante Vorkommen davon, nämlich bei Italienern und den südafrikanischen Lemba.
Weder Sand, noch der Telepolis Hermann Ploppa scheinen jemals davon gehört zu haben. Statt dessen werden wir informiert, dass die Römer keine Eisenbahnen hatten:

Im Jahre 70 nach Christus fanden Aufstände fundamentalistischer jüdischer Sekten gegen die römische Besatzungsmacht statt. Die angebliche nachfolgende Vertreibung und Verstreuung der Juden in alle Himmelsrichtungen sind ebenfalls freie Erfindung, urteilt Sand. Denn um ein ganzes Volk zu vertreiben, fehlten schlicht die Mittel:
Die Römer haben keine Völker ins Exil getrieben, und sie konnten es auch gar nicht. Sie verfügten nicht über Eisenbahnen und Lastwagen, um ganze Bevölkerungen zu deportieren. von hier

Ich möchte als Gegenthese hinzufügen, es gab ja auch kein Internet mit dem Chabad große Teile der europäischen Bevölkerung missionieren konnte…
Ha’aretz hat sich schon im März eingehend mit dem Buch befasst (hier) und Tachles hat erst in dieser Woche ein Interview mit Schlomo Sand online gebracht (hier). Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass Judentum gar keine Frage der Biologie ist, sondern der Zugehörigkeit zum Am Jisrael welches sich über die Halachah definiert und da gehört jeder mit jüdischer Mutter dazu, oder der zum Judentum konvertiert. Bestandteil dieses Judentums ist aber auch die Einheit von G-tt, der Torah und Israel und das nicht erst seit Theodor Herzl.
Man muss nicht versuchen, die eigene Herkunft zu dekonstruieren, um mit einer anderen Gruppe in Frieden leben zu können – das scheint mir die Zielstellung von Sand zu sein – man muss nur mit der anderen Gruppe in Frieden leben wollen.
Übrigens bin ich mir nicht so sicher ob die Hamas-Aktivisten stolz darauf wären, Nachfahren jüdischer Landwirte zu sein… wie es Sand ja sagt.