Für diese Geschichte müssen wir etwas ausholen - kürzlich sagte man mir am Telefon, es sei unjüdisch über Gemeindeangelegenheiten zu sprechen oder zu schreiben. Das entzieht mir natürlich hier den Stoff und die Blogeinträge würden dramatischst zurückgehen. Interessanterweise und andererseits waren gerade die Diskussionen über den Aufbau der Gemeinden diejenigen mit den meisten Teilnehmern und die große Suchmaschine liefert für die Begriffe jüdische Gemeinde streit 95.400 Treffer (Zahlen können schwanken, je nachdem welchen Server man erwischt). Geschichten wie diese und diese würden plötzlich wegfallen. Plötzlich müsste ich von einer perfekten Welt berichten. Zusätzlich muss man natürlich aufpassen, dass man nicht die falsche Klientel mit Futter versorgt und nicht jemanden vorschnell verurteilt und wir uns an der Schwelle zu Laschon HaRa bewegen. Zusätzlich wird man, von Zeit zu Zeit, durch Kontaktaufnahmen dazu aufgefordert, hier über diesen und jenen Prozess innerhalb einer Gemeinde zu berichten. Das geht aber gar nicht! Schon gar nicht, wenn das nur auf Aussagen von einem Mailautoren beruht. Kurzum: Ist die Beschäftigung mit diesen Themen eigentlich goj naches?

Kommen wir aber nun zu einer Erfolgsgeschichte aus dem Süden Deutschlands. Am Wochenende berichteten die Lokalzeitungen im Bodenseeraum über die Eröffnung einer Mikweh in Konstanz. Das ist erstaunlich, weil die Gemeinde nur 327 Mitglieder hat und seit einiger Zeit ein Streit darüber lodert, ob nun eine Synagoge in Konstanz gebaut werden soll, oder nicht (siehe hier oder hier). Gemeinsam mit zwei Rabbinern der chassidischen Belz Bewegung, Schlomo Schiff und Simche Krakowski, wurde die Mikweh am Sonntag eröffnet. Was ist nur passiert, dass ich solche Mitteilungen nie lesen kann, ohne mich zu wundern, warum wer etwas wie macht… ?

Juden in Konstanz haben seit gestern ein weiteres wichtiges Element ihrer Religion: Unter der Anwesenheit hoher jüdischer Vertreter ist bei der Israelitischen Kultusgemeinde ein Ritualtauchbad eingeweiht worden. Ein solches hatte es in Konstanz seit dem Mittelalter nicht mehr gegeben. von hier

Im Zuge der Berichterstattung erfahren wir übrigens unter anderem, dass der Bodensee koscher ist

Gläubige Konstanzer Juden waren bisher auf den Bodensee angewiesen, der als koscheres Gewässer gilt. von hier

und die Kosten nicht durch die öffentliche Hand getragen wurden:

Seine Familie und die Nissenbaum-Stiftung tragen die geschätzten Baukosten von mehr als 300 000 Euro. von hier

Entstanden ist die Mikweh ja wohl auch auf dem Privatgrundstück der Familie Nissenbaum, deren Name mit dem jüdischen Leben in Konstanz unzertreenlich verbunden ist. Auch die Gemeinderäume werden von der Familie Nissenbaum gestellt, oder besser gesagt, an die Gemeinde vermietet, deren Vorsitzender Benjamin Nissenbaum ist. Der Südkurier berichtete 2005 die Kultusgemeinde zahle der Familie 2000 Euro Miete für die Räume (hier). Einen Beigeschmack hat es schon, wenn der Vermieter nahezu gleichbedeutend ist mit demjenigen, der die Miete überweisen darf. Man könnte aber auch fragen, warum man die Mikweh nicht in die entstehende Synagoge integriert. Eine mögliche Antwort ist, weil das zu lange dauert auf die Synagoge zu warten. Wem gehört nun die Mikweh? Im Idealfall der Gemeinde. Wiedergegründet hatte die Gemeinde 1945 Sigmund Nissenbaum, der seitdem die Geschicke der Gemeinde in seinen Händen hielt und sie später in die Hände seiner Söhne Benjamin und Gideon übergab. Die weitere Geschichte der Familie beleuchtet die Schwester der beiden Orina Nissenbaum in ihrem (kostenlos verfügbaren Buch) Sigmund Nissenbaum, mein Vater (hier verfügbar):

Zu Lebzeiten war er ein hervorragender Geschäftsmann, der sich mit der Hände Arbeit empor gearbeitet hatte ohne eine besondere Bildung gehabt zu haben.Er beauerte dies ständig, doch es lag nicht daran, dass er nicht wollte, sondern, dass er nicht konnte. Er war gerade 13 Jahre alt als der Krieg im Warschauer Getto ausbrach. Er überlebte verschiedne KZ´s und blieb in Konstanz hängen und heiratete eine gutaussehnde Frau, eine Zigeunerin, meine Mutter. Er gründete eine jüdische Gemeinde.

Die enge Verknüpfung von Gemeinde und Familie kann eine glückliche Fügung sein, aber sie kann auch eine Belastung sein, wenn es etwa zum Streit kommt und man Gefahr läuft, die gesamte Gemeinde mit einer Personalie irreparabel zu schädigen. In Deutschland keine Seltenheit, auch Henryk Broder berichtet aus Nürnberg, dass dort schon seit längerer Zeit die Gemeinde durch einen Vertreter gelenkt wird:

Bis 1966 war Adolf Hamburger Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Nürnberg, dann übernahm Sohn Arno das Regiment. Seit über 4o Jahren führt er nun die zweitgrößte jüdische Gemeinde Bayerns mit durchaus autoritärem Charme, seit 1972 sitzt er für die SPD im Stadtrat von Nürnberg, wo er nicht nur jüdische Interessen vertritt. … Unter Hamburgers Führung hat die Nürnberger Jüdische Gemeinde sowohl den Landesverband der jüdischen Gemeinden wie den Zentralrat verlassen. Organisationstechnisch ist die Nürnberger Gemeinde eine Art freie jüdische Republik. Über Hamburger waltet nur der Allmächtige. von hier

Das ist alles ist doch viel zu interessant, um nicht darüber zu reden - oder?