Ende Juni sorgte ein Text zur Lage des Judentums in Deutschland für Aufsehen (siehe hier). Rabbiner Baruch Rabinowitz stellt darin seine Auffassung zur Diskussion, dass das Judentum in Deutschland trotz des Wachstums nicht automatisch auch an innerer Stärke gewinnt. Kurze Zeit später kommt das auch in den Kommentaren zu meinem kleinen Verweis auf den Synagogenbau in Krefeld zum Ausdruck. Vermehrt wird angemerkt, dass zwar die materiellen Voraussetzungen geschaffen wurden, aber die inneren Werte fehlen. Oder -um ein sprachliches Bild zu verwenden: Die Hülle ist vollständig und der Golem lebt, hat aber keine Neschume - keine Seele. Zuweilen kann der Golem umherwandern, vollständig ist er jedoch nicht. Dies trifft auf einige Gemeinden zu, auf andere nicht. Es gibt durchaus Personen, die sich für Dinge einsetzen, die man nicht für Geld kaufen kann: Jüdische Bildung und der Ausprägung eines Gefühls, dass es durchaus Sinn macht, jüdisch zu leben und wofür das überhaupt gut sein soll. Die Erhaltung jüdischen Lebens ist ja kein reiner Selbstzweck. Synagogen kann man kaufen, man kann sogar in diese Kulisse Statisten hineinschaffen (es gibt Gemeinden, die Minjanmänner bezahlen), aber Menschen die kommen, um darin zu beten, kann man sich nicht kaufen. Hieran arbeiten einige engagierte Kräfte - vielleicht nicht genug. Diese Personen kommen übrigens aus allen Richtungen des Judentums.

In seinem neuesten Artikel befasst sich Rabbiner Rabinowitz mit genau jenen Schlüsselfiguren, die eigentlich für die Vermittlung von Judentum primär verantwortlich sind - den Rabbinern. Obwohl ich mich da selber einschränken muss. Für mich sind die primären Verantwortlichen die Eltern von Kindern. Sie sind DIE Schlüsselfiguren für ein Judentum mit Inhalten. Es ist daher etwas verwunderlich, dass es kaum Programme gibt, die auf Leute im Alter zwischen 26 und 45 zielen. Eben jene, die Familien gründen. Zum Text von Rabbiner Rabinowitz geht hier. Vehement widersprechen möchte ich aber folgender These aus seinem Text:

Ich bin überzeugt, dass es ein fataler Fehler ist, das Judentum aus dem Ausland (ob Israel, USA oder England – egal) nach Deutschland zu importieren. Weder „Schtettel“ Judentum von Chabad noch globales Reformjudentum aus den USA, werden die Bedürfnisse der Menschen hier langfristig befriedigen können. Wir müssen von neuem bauen und sollten mit dem Fundament beginnen. Die menschlichen Seelen sind die Bausteine und wenn wir genug mit ihnen arbeiten, haben sie das Potenzial die Steine des neuen, wunderschönen Tempels in Deutschland zu werden. von hier

Ich sehe das nämlich eher als einen evolutionären Prozess. Nahezu alle modernen Strömungen des Judentums haben ihren Ursprung in Deutschland (mit Ausnahme des Rekonstruktivismus) und wanderten von hieraus in die Welt und begannen dann in den USA zu blühen. In dieser Zeit wurde hier versucht, auch die letzten erhaltenen Triebe des Judentums auszulöschen. Nach der Schoah kehrten die ersten Vertreter wieder zurück, doch die besondere Situation in Deutschland verschob eine Diskussion um Inhalte zugunsten eines reinen Wiederaufbauwerkes. Nun kehrt das Judentum aber von außen wieder zurück in die Gemeinden und Gruppen. Sei es durch „Emissäre”, oder sei es durch junge Leute, die im Ausland ein vitales Judentum erleben konnten. Aus diesen Grundimpulsen könnte sich etwas entwickeln, wenn man es zulässt und es fördert. Dies gilt für das Chabadjudentum (was ich nicht für „Schtetljudentum” halte- das trifft wohl eher auf die Vertreter des „nicht-observanten orthodoxen Judentums” zu), als auch für die Reformbewegung. Brauchen wir da wirklich etwas originär Neues? Und heißt es nicht in Kohelet „Es ist nichts neues unter der Sonne” (1:9)? Entwicklungshilfe bedeutet nicht Übernahme. Es ist eine Hilfe zum Start…