Wenn man die dieswöchige Paraschah Chukat in wenigen Sätzen zusammenfassen sollte, so könnte man unter anderem erzählen, dass in dieser Paraschah von einem etwas abruptem Generationswechsel berichtet wird. Mirjam stirbt in der Wildnis von Zin und wird dort begraben. Das Volk beschwert sich über den Mangel an Wasser, Moses nimmt seinen Stab und schlägt zweimal gegen einen Felsen, obwohl G-tt ihm eine andere Vorgehensweise geboten hat. G-tt spricht zu Aaron und Moses daraufhin, dass sie das Land Israel nicht betreten werden. Wenig später stirbt Aaron, nachdem er seine Priestergewänder an seinen Sohn Elieser übergeben hat. Moses trauert 30 Tage um seinen Bruder Aaron, diese 30 Tage der Trauer kennen wir noch heute. Die „großen Alten“ welche die Kinder Israels führten und leiteten werden zu Erinnerungen und ihre Verdienste Leitbild für die folgenden Generationen. Nur wenig nach der Trauerzeit murren die Kinder Israel abermals über das Fehlen von Wasser und ausreichend viel Brot. Dieses Mal werden sie jedoch mit giftigen Schlangen (ganz wörtlich „_Nechaschim Serafim_“ –„brennende Schlangen“ denn das Verb „_saraf_“ bedeutet „brennen“) heimgesucht deren Bissen zahlreiche Menschen zum Opfer fallen. In der Torah heißt es (21,5) „Und das Volk wandte sich gegen G-tt und Moses und sprach: Warum habt Ihr uns aus Ägypten herausgeführt? Nur damit wir in der Wüste sterben? Es ist weder Brot noch Wasser hier und diese elende Speise widert uns an. Da sandte HaSchem die giftigen Schlangen gegen das Volk und diese bissen das Volk, so dass viele Leute Israels starben.“ Samson Raphael Hirsch merkte dazu an, man dürfe diesen Abschnitt nicht so übersetzen, denn G-tt „sandte - wajischlach“ die Schlangen nicht, sondern „ließ sie frei – wa’jeschalach“. G-tt entzog dem Volk Israel seinen Schutz, nachdem er sie durch eine Wildnis „voller giftiger Schlangen, Skorpione und Dürre“ (5. Buch Mose 3,15) geführt hatte. Nach etwa 40 Jahren der sicheren Passage konnten die Tiere dann ihrem natürlichen Trieb nachgehen. Und das Volk verstand und wandte sich an Moses, er möge diese „Plage“ abwenden. Um dies zu tun, gebietet ihm G-tt „Mache einen Seraf und setze ihn auf eine Stange zum Zeichen und jeder, der gebissen wurde, soll diesen ansehen. So soll er am Leben bleiben.“. Im nächsten Vers berichtet die Torah, dass Moses eine kupferne Schlange anfertigte, wenngleich in dem eigentlichen Auftrage nichts davon zu hören war. Bei Jeschajahu begegnen uns auch Serafim, die allerdings von ihm vollkommen anders beschrieben werden „_Serafim_ standen über ihm. Jeder hatte sechs Flügel: Mit zwei Flügeln bedeckten sie ihr Gesicht, mit zwei bedeckten sie ihre Füße und mit zwei flogen sie. Sie riefen einander zu: Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaot.“ Ein Textstück, das uns auch in der Keduschah begegnet. Eine solche Figur als Mittel zur Heilung? Verlassen sich die Kinder Israels nun auf eine Figur? Mit Sicherheit können sich noch einige der Kinder Israels, die das Leben in Ägypten noch kannten, an die Speikobra an der Stirn des Pharao oder überhaupt in der ägyptischen Mythologie erinnern. Tatsächlich wissen wir heute, dass sich diese Schlange ihrer Gegner durch gezieltes Spucken mit einem Sekret entledigt und dass dieses Sekret zu schmerzhaften Verätzungen und Verbrennungen führen kann. Mit diesem Bildnis der Schlange spielt Moses wortwörtlich mit dem Feuer, denn in der Welt der Ägypter wurde diese Schlange mit dem „feurigen Sonnenauge“ des Himmelsg-ttes Horus verbunden. In einem altägyptischen Hymnus heißt es:

„Herrin des Himmels, Herrscherin beider Länder, Auge des Horus und seine Leiterin, Herrin der Ewigkeit, Feurige, Rote, deren Flamme schmerzt…“.

Auch in der Umwelt der Kinder Israels spielten Schlangen keine geringe Rolle. 1969 fand Professor Beno Rothenberg in Timna, am Rande des Negev, bei Ausgrabungen eines midianitischen Heiligtums, eine Kupferschlange. Warum wird also ausgerechnet dieses Symbol für die Reinigung verwendet? Von einer „Heilung“ statt einer „Reinigung“ kann nämlich deshalb nicht die Rede sein, weil die gebissenen ja nicht krank sind, sondern gesündigt haben. Und warum wird ausgerechnet die Schlange als Symbol verwendet? Sie scheint ein ständiger Begleiter des Menschen in der Torah zu sein. Die Schlange aus dem Buch Bereschit, brachte G-tt und Mensch auseinander, die Geschichte vom Garten Eden ist eine der bekanntesten. Die Schlange dagegen, die Moses vor dem Auszug aus Ägypten den Ältesten der Kinder Israels zeigte, eine, die er in einen Stab verwandelte, sollte ihren Glauben stärken. Nun aber, in dem Moses die Schlange am Schwanz erhebt, sie kontrolliert und wieder zu einem Stab macht, macht er den Ältesten klar, dass die Beziehung zu G-tt von diesem Augenblick an wieder eine andere ist. Den gleichen Stab verwendet Moses in unserer Paraschah, um Wasser aus dem Stein hervorzubringen, doch der Segen des lebens spendenden Wassers hat eine Kehrseite. Moses und Aaron werden für ihren Ungehorsam bestraft. In Kapitel 20, Vers 24 sagt die Torah: „Aharon soll zu seinem Volk eingehen (sterben), denn er soll in das Land, das ich den Kindern Israels gebe, nicht kommen, weil ihr meinem Befehl nicht nachgekommen seid bei den Wassern von Meribah.“ Die Schlange, die zum Stab wurde, weil G-tt es wollte, wurde in den Händen Moses zu einem Werkzeug für die Freiheit Israels und daran sollten sich möglicherweise diejenigen erinnern, die von den „feurigen Schlangen“ gebissen wurden, dass G-tt ihnen helfen kann, wenn sie nur wollen. Nicht die Schlange half ihnen also, sondern der Blick nach oben zu G-tt, wie es auch in der Mischnah heißt: „Aber hätte denn die Schlange töten können oder hätte sie lebendig machen können? Vielmehr immer dann, wenn die Israeliten Einsicht gegenüber dem Himmel zeigten und ihre Herzen ihrem Vater, der im Himmel ist, unterwarfen, wurden sie auch geheilt, aber wenn nicht, waren sie verloren.“ (Rosch haSchanah 3,8).Ohne die Generation, die sich noch an die Geschehnisse 40 Jahre zuvor erinnern konnte, benötigten die Kinder Israels eine Erinnerung an die großen Ereignisse und eine Erinnerung daran, dass G-tt die Götzen Ägyptens als nutzlos entlarvte.