Ein Text geht um im deutschsprachigen jüdischen Internet. Ein Text der Kopfnicken, Kopfschütteln, Wutanfälle oder Verzweiflung hervorruft - je nach Leser. Kurz nach einer Mail von Rabbiner Baruch Rabinowitz, in der er ankündigte, es gäbe Veränderungen und Aktualisierungen auf der Homepage, erhielt ich auf verschiedenen Mailinglisten den Text geschickt. Wenig später wurde dann auch vonJüdisches Berlin auf ihn verwiesen. Auf den Text namens „Das Judentum in Deutschland heute”, der nicht mit eigener Meinung geizt und viele Dinge sehr deutlich beim Namen nennt:

Deutschland kann jetzt ruhig schlafen. Es gibt wieder jüdisches Leben in der Bundesrepublik. Es scheint, dass das Unmögliche doch möglich geworden ist. Es scheint, dass sich die großen jüdischen Denker, wie Leo Baeck, die den endgültigen Untergang des deutschen Judentums nach dem Zweiten Weltkrieg vorhergesagt haben, doch getäuscht haben. Immerhin leben schon wieder über 100.000 Juden in Deutschland. Neue Synagogen werden gebaut, zwei Hochschulen bilden religiöse Lehrer und Rabbiner aus, über 80 Gemeinden bieten den Gläubigen ihre Dienste an. Es gibt jüdische Schulen und Kindergärten. Das Angebot an religiösen und kulturellen Veranstaltungen wächst täglich. Kurz gesagt: Ein Wunder ist geschehen…

Man hat politisch korrekt zu bleiben. Denn: ein falsches Wort und man wird sofort des Antisemitismus beschuldigt. Eine Gemeinde kann sich beinahe alles erlauben. Skandale und Intrigen, Streit und Betrug werden unter den Teppich gekehrt. Und die Gemeinden wissen, ihren Nutzen aus der Geschichte zu ziehen. Und zu missbrauchen. Leider nicht um noble Ziele zu erreichen. Sondern nur um ihr politisches Gewicht und den Platz in der Gesellschaft nicht zu verlieren. Denn viele Menschen, die auf dem jüdischen Ticket in Deutschland eine politische Karriere gemacht haben, waren ein Nichts davor und werden auch danach ein Nichts sein. Wer die bittere Wahrheit nicht erkennt, muss blind sein. In Deutschland gibt es derzeit kein Judentum oder etwas, das als jüdisches Leben bezeichnet werden könnte. von hier

Einige Details sind nicht ganz glatt, so hat Gelsenkirchen mittlerweile eine Rabbinerstelle besetzt, Bochum würde sie gerne besetzen.

Da viele von ihnen unter dem Kommunismus aufgewachsen sind, übertragen sie auch die gewohnte diktatorische Parteiführung auf die neu entstandenen Gemeinden. Den neuen Funktionären geht es nur um ihre politische Karriere, nicht um das Wohl der Menschen. Wie kann jedoch ein jüdisch völlig unkompetenter Vorsitzender oder Vorstand einer Gemeinde, seine Gemeinschaft auf den jüdischen Weg bringen? Nein, so eine Bemühung gibt’s bei vielen gar nicht. Denn die Hauptinteressen bleiben Geld und Macht. Die meisten Gemeinden investieren zwar in zahlreiche Projekte, haben jedoch nie das Geld einen Rabbiner oder Jugendleiter zu engagieren. In der jüdischen Gemeinde zu Berlin mit über 10.000 Mitgliedern und 400 Angestellten sind nur drei Rabbiner offiziell tätig. Gemeinden, wie Bochum, Gelsenkirchen oder Dresden haben, obwohl sie seit kurzem neue große Synagogen besitzen, die Millionen gekostet haben, kein Geld, um einen eigenen Rabbiner einzustellen…

Im Glücksfall führt der Text zu einer konstruktiven Diskussion darüber, was die Gemeinden sind und was sie nicht sind, was sie leisten können und sollen. Wer sagt „Ja. So ist es” und wer sagt „Aus folgenden Gründen ist es nicht so…”? Das Fazit von Rabbiner Rabinowitz ist jedenfalls ernüchternd (oder aufbauend, je nach Standpunkt):

Solche Gemeinden, die auf Aufrichtigkeit und gegenseitiges Vertrauen bauen, werden es auch schaffen, eine würdige Position in der deutschen Gesellschaft einzunehmen. Und diese Position werden sie auch dann behalten, wenn die Ära „politisch korrekt“ sein zu müssen aufhören wird. Andernfalls wird die heutige Gemeindeführung für den endgültigen Untergang des Judentums in Deutschland in schon wenigen Jahren die Verantwortung tragen müssen. von hier

Eines der neuen Gemeindemitglieder aus Essen, schreibt in der Jüdischen Zeitung noch schonungsloser:

Die Präsenz von Synagogenraum, Tora und anderen Zeremonialgegenständen kennzeichnet die Jüdische Kultusgemeinde als Religionsgemeinschaft. Diese Gemeinde kann aber erst mit religiösen Menschen zu einer lebendigen religiösen Gemeinschaft werden. Dies ist dann der Fall, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder religiös lebt und am Gottesdienst teilnimmt und die Gemeinde auch von religiösen Personen geleitet wird. Anfang der 1990er Jahre waren jüdische Gemeinden in Nordrhein-Westfalen zwar rar, doch dafür waren sie echte religiöse Gemeinschaften, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verdienten. Heute ist dies anders, und unter diesen Bedingungen müsste manch einer Jüdischen Gemeinde ihr Körperschaftsstatus eigentlich aberkannt werden, es sei denn, dass diese Gemeinden ihr Wesen entsprechend ändern. von hier

Wobei schonungslos nicht gleichzusetzen ist mit „wahr”. Einige der genannte Fakten, was den „Zwang zur Mitgliedschaft” in einer jüdischen Gemeinde betrifft, müsste ich erst recherchieren. Derartiges habe ich nämlich bisher nie gehört.