The Authorised Daily Prayer Book

Daily Prayer BookIn den Kommentaren zum Beitrag „ArtScrolls Mission” erwähnte Yonatan, dass es für die britischen (orthodoxen) Gemeinden einen neuen Siddur gäbe, es handelt sich dabei um „The Authorised Daily Prayer Book of the United Hebrew Congregations of the Commonwealth” mit einem Kommentar, sowie einer überarbeiteten Übersetzung des britischen Oberrabbiners Sir Jonathan Sacks.
926 Seiten neuer Siddur – der sich jedoch als Weiterführung des „Singers’s Siddur” versteht – 926 Seiten neues Layout (von Jerusalem Typesetting), 926 Seiten neue Typographie und 926 neuer Kommentar, „neue” Texte erwartet man ja von einem orthodoxen Siddur ja eher weniger, dafür liegt hier der Augenmerk auf Vollständigkeit und Arrangement. Der Siddur ist selbstverständlich aschkenasisch, wenngleich auf die britische Art , man kann sagen, Minhag Anglia, der moderner und offener daherkommt als beispielsweise der ultraorthodoxe der ArtScroll-Siddurim. So findet man im „Authorised Daily Prayer Book” auch einen „Service at the Consecration of a House” und Tfillot haDerech mit einem Abschnitt für Flüge. Es versteht sich von selbst, dass es auch ein Gebet für die königliche Familie gibt „Prayer for the Royal Family”, in dem für „our sovereign Lady, Queen Elizabeth, Philip, Duke of Edinburgh, Charles, Prince of Wales, and all the Royal Family.” gebetet wird. Im Schacharit Schabbat folgt daraufhin ein Gebet für den Staat Israel und die Tzahal, allerdings wurden hier nicht, die in Israel gebräuchlichen, Texte verwendet, sondern ein zusammenhängender neuer Text geschaffen, der noch dazu sehr gut ist. Was allerdings genau an dieser Stelle fehlt, sind Texte für ein Mischeberach, es gibt lediglich im Anhang einen kurzen für Wochentage. Die kurze Form der Amidah (Havinenu) findet sich auch in dem Buch.
Die Instruktionen für die Beter sind sehr in die Texte eingebracht, statt zu schreiben, „bei dem Satz vehaju le totafot etc. berührt man die Kopf Teffilin”, sind kleine Symbole in den Text eingefügt (ohne ihn zu zer/stören), die dies markieren, ohne dass man oben wieder nachschauen müsste, wann welche Geste zum Gebet gehört. Instruktionen bringt das „Prayer Book” stets in einer serifenlosen Schrift, was sie ganz gut hervorhebt und überhaupt verzichtet der Siddur auf die grauen Kästchen die ArtScroll als Quasi-Standard einführte und rückt Einschaltungen in den Text, mit Linien markiert, ein. Überhaupt hat man nicht besonders viel vom großen ultraorthodoxen angloamerikanischen Konkurrenten übernommen. Lediglich der zweispaltige Kommentar im unteren Teil der Seiten erinnert layoutlich an diesen, inhaltlich jedoch nicht, man möchte fast sagen, dies sei auch gut so. Der Text von Rabbiner Sir Jonathan Sacks spielt in einer anderen Liga und dürfte denjenigen gefallen, die nicht so ohne weiteres jede ultraorthodoxe Weisheit schlucken wollten. In einem ausführlichen, einleitendem Artikel „Understanding Prayer”, erklärt der britische Oberrabbiner auch einige Grundlagen des jüdischen Gebets mit viel Sinn für Einzelheiten und Strukturen:

This Introduction tells of how prayer came to take its present form, the distinct spiritual strands of which it is woven, the structure it has, and the path it takes in the journey of the spirit. Seite XII

Interessant ist der Teil über numerische Strukturen, oder über Fraktale. Ein anderer beschäftigt sich mit der Frage, ob Gebet auch beantwortet werden, oder was die verschiedenen Namen G-ttes zu bedeuten haben.
Die Typographie des hebräischen Textes ist durchaus als gelungen zu bezeichnen, erinnert aber in vielen Strecken an die Lösung im konservativen Siddur Sim Shalom, einzelne Abschnitte sind klar voneinander getrennt, Zusammenhänge werden dagegen deutlich, Texte sind keine Buchstabenblöcke mehr, sondern klar strukturiert und umbrochen (wenn auch nicht so exzessiv wie im Sim Shalom). Der hebräische Schriftsatz ist modern und leicht zu lesen.
Interessant ist ein kleines Detail: Wenn in dem Siddur von der Person die Rede ist, die vorbetet, heißt es nicht Chazan oder Cantor, sondern Leader, was den Vorbeter etwas deinstitutionalisiert, oder anders gesagt, demokratisiert, denn ein jüdisches Gebet kann jeder leiten, der weiß, wie das funktioniert.
Im Anhang findet man, selbstverständlich, Torahlesungen für Wochentage und spezielle Anlässe, den Mischeberach, das Kaddisch in Transliteration, aber auch eine Tabelle von Psalmen für spezielle Anlässe, wie etwa im Krankheitsfall.
Durch den häufigen Vergleich hat man es schon gesehen: für mich tritt dieser Siddur praktisch gegen die ArtScroll-Siddurim an, denn beide sind neue englischsprachige Siddurim. ArtScroll konnte durch Benutzerfreundlichkeit und gefälliges Layout und Erklärungen diejenigen erreichen, auch zahlreiche Nichtmuttersprachler, die Orientierung suchten und durch das Gebet geführt werden mussten. Dabei konnten natürlich auch Inhalte verkauft werden. Kann dieser neue Siddur in diesen Wettbewerb eintreten? Zweifellos (also nach meiner Meinung) kann er das, wenn er auch das gleiche Marketing erhält und erfolgreich eingeführt wird. Es gibt ihn in zahllosen Variationen, als Taschenausgabe, als Vorbeterausgabe, als Buchausgabe etc…. Ein Plus der Taschenausgabe ist übrigens der leicht zu reinigende und biegbare Umschlag und das hervorragende dünne Papier. Früher hatte auch die Taschenausgabe des Siddur Sefat Emet dünnes Papier, darauf hat man wohl bei späteren Ausgaben verzichtet und vermutlich wird die Taschenausgabe den Sefat Emet aus meiner Tasche verdrängen, denn besonders leserfreundlich ist der nicht. Bei amazon ist der Siddur übrigens über diesen Link zu haben.

Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

6 Kommentare

  1. Du wirst sowieso nichts negatives schreiben können 😉 Einige, wenn auch sehr schwache, Kritikpunkte gab es ja schon. Ich denke aber doch, dass dieser Siddur mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Du wirst ihn erhalten und hierher zurückkehren und mir zustimmen 😉 Im Ernst: Ich bin sehr gespannt auf Deine Sicht der Dinge!

  2. Vor einigen Tagen ist der neue Siddur bei mir eingetroffen, und ich habe ihn auch schon benutzt. Noch kann ich weder etwas zu der längeren Einleitung von Rabbiner Sacks schreiben noch im Detail etwas zu den zahlreichen Kommentaren zu den Gebetstexten. Aber nach dem ersten Herumblättern bzw. nach dem ersten Gebrauch fällt es mir schwer, etwas zu finden, dass mir nicht gefällt.

    Aufmachung und Drucksatz sind wirklich klasse, v.a. gefällt mir der hebräische Textfont. Weißt du, wie die Schrifttype heißt? Irgendwie scheint es mir, dass der Font ein lateinisches Äquivalent besitzt.

    Sehr hilfreich sind die kleinen, dezenten Hinweise für den (ungeübten) Beter, wann z.B. die Tzizit in die Hand zu nehmen sind oder wann in der Amida der Beter in die Beuge zu gehen hat. Mein Eindruck ist, dass es in diesem Siddur mehr dieser Hinweise gibt als in den Artscroll-Siddurim, die damit auch schon nicht geizig waren.

    Eine schöne Überraschung ist das kurze und nur eine Seite lange Tischgebet auf Seite 774, wenn es mal schnell gehen muss. So etwas habe ich schon lange gesucht. Der kurze Kommentar nennt den Talmud, der es erlaubt, das kurze Gebet auch während der Arbeitszeit zu sagen, gleich danach wird jedoch der Schulchan Aruch genannt, der die Benutzung wirklich nur für Notfälle vorsieht. Ich glaube, es bleibt dem Leser überlassen, welche Option er wählt.

    Vielleicht nicht ganz optimal ist der Seitenumbruch. Beispiel: Mitten in der ersten Strophe der Amida zu Maariw muss ich umblättern. Dasselbe beim Kiddusch zu Erew Yom tow. In dieser Hinsicht ist die neue Ausgabe von Sim Shalom besser.

  3. Ich nahm zunächst an, das The Authorised Daily Prayer Book verwendet auch Hadassah (wie Sim Shalom), das wäre das passende Gegenstück zu Palatino von Linotype. Diese Schriften passen perfekt zusammen.
    Zum Tischgebet: Richtig, ich hatte auch das unbestimmte „Gefühl der Wahl” und auch bei der Umbruchgeschichte hast Du Recht – die sind teilweise ein wenig ungeschickt angelegt.
    Vielleicht verrät uns ja Jerusalem Typesetting, welche Schriftart verwendet worden ist?

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