Tikkun Schabbtai Zewi Im Anschluß an den Häretiker des Monats-Post (hier) folgt nun dieser, weil es tatsächlich einige neue Artikel zu dem Thema Schabbtai Zewi gibt. Das Zeek-Magazine widmet einen ganzen Themenkomplex ausschließlich Schabbtaj Zewi (auf den sich auch Jakob Frank bezog), dem selbsterklärten Maschiach und wohl auch erfolgreichsten selbsternannten Maschiach. Seine Anhängerschaft war nicht gering, die Zeit in der er auftrat, war eine Zeit massiver Umbrüche für die jüdischen Gemeinden Europas. 1648, wurden in Osteuropa unter Führung von Bogdan Chmelnizki über 100 000 Juden bei Pogromen getötet. In eben dieser Zeit erlebte Schabbataj Zewi eine Vision. Schnell musste er seinen Wohnort Smyrna verlassen, zog nach Saloniki und war schnell gezwungen, auch diesen Ort zu verlassen, nachdem er mit einigen mystischen Ritualen von sich reden gemacht hatte. So soll er wohl in einem Ritual die Torah geheiratet haben. 1658 ging er nach Istanbul, wo er Kabbalah studierte. 1659 musste er auch diese Stadt wieder verlassen. Er ging nach Smyrna, lebte auch mindestens zwei Jahre in Ägypten, von 1660 bis 1662 und ging von dort aus nach Jeruschalajim. 1663 konnte er die Stadt durch Beschaffung eines größeren Geldbetrages retten, die Gemeinde dort bat ihn zuvor um die Beschaffung des Geldes in Kairo. Dort gab ihm sein Förderer Raphael Joseph Halabi das Geld und förderte mit seinen Mitteln das Fortkommen von Schabbtaj. 1665 erklärte er sich in Gaza, ermutigt durch Prophezeiungen des Kabbalisten Nathan Aschkenazi zum Maschiach und ernannte 12 Mitglieder der Gemeinde von Gaza zu Repräsentanten der 12 Stämme Israels. Dies war der Beginn der eigentlichen Bewegung die anschließend durch die jüdische Welt zog. Das Zeek-Magazine erzählt die Geschichte im Schnelldurchlauf, mit einem charmanten Seitenhieb:

Sabbatai Zevi (1626-76) was the most notorious Jewish Messianic claimant since Jesus of Nazareth. Born in Izmir, on the western coast of Turkey, he declared himself Messiah at age 21. He repeated this proclamation, intermittently, for the next seventeen years. But only in the spring of 1665, when Sabbatai’s claims were echoed by the young Kabbalistic prodigy Nathan of Gaza, did anyone start to pay attention. Then, it seemed, the whole world listened. For the next sixteen months, the Messianic movement headed by Sabbatai and his “prophet” Nathan swept the Jewish Diaspora like a brushfire. From London to Poland, from Hamburg to Yemen, Jews believed in perfect faith that Sabbatai Zevi was the promised Redeemer, about to lead them back to the Holy Land and rebuild the Temple. In September 1666, when the excitement was at its height, Sabbatai Zevi was brought as prisoner before the Turkish sultan Mehmed IV. He saved himself by converting to Islam. He lived ten years longer – a strange double life, practicing Islam and Judaism together, surrounded by an entourage divided between the Jewish “turban-wearers” who had followed him into Islam, and those who stayed faithful to their Judaism. The Messianic hope faded. Yet, throughout the Jewish Diaspora, thousands remained convinced that their “Mehmed Effendi,” formerly known as Sabbatai Zevi, was still the true Messiah. von hier

Text ist, trotz der knappen Einleitung, eine sehr gute Einsicht in die Bewegung. Es werden Texte betrachtet und an anderer Stelle wurden ausführliche Übersetzungen sabbatianischer Texte veröffentlicht (hier): Aussschnitt aus einer Übersetzung Jay Michaelson begründet in einem anderen Artikel für Zeek, warum er diese Bewegung studiert und warum sie ihn (und zahlreiche andere jüdische Denker) irgendwie auch fasziniert:

This is why I study Sabbateanism: not because of the specific doctrines of the movement, or because of the personality of Sabbatai Zevi, but because these were sects of Jews who remained attached to some kind of Judaism, but who created a form of Judaism well beyond the pale of normative religious figures. Yes, there are some aspects of Sabbatean ideology that are fascinating, even titillating. The Dönmeh and the Frankists each had sexual-religious rituals, ranging from wife-swapping to kissing the naked breasts of a girl as the embodiment of the Torah/Shechinah. I’m intrigued by Frank’s innovation, in exact parallel to the Baal Shem Tov’s, that the miracle of pantheism is precisely that God is present in the illusory, material world. But above all, I’m captivated by that vertiginous moment in which there are suddenly no rules, no guides - and yet there is also a pull to faith. True nihilism bores me; I can’t think of anything less interesting than the same hipster angst that has caused people to be cool, ironic and unhappy for two hundred years. But religious anarchy - where things matter, but they’re not how the authorities say - that is the world which I actually inhabit. Earlier scholars of Sabbateanism were attracted for similar reasons. Gershom Scholem, who invented the modern study of Jewish mysticism, wrote his longest single work on Sabbatai Zevi, and regarded him both as a religious revolutionary and a precursor to Zionism. Scholem was not alone in this characterization; when Herzl published The Jewish State, he was accused of being a new Sabbatai Zevi, because like Sabbatai, he was trying to take history into his own hands, to hasten the redemption, to act in a way that the pious reserved for God. von hier

Eine Faszination bleibt also bestehen und überflüssig ist die Beschäftigung mit diesen Bewegungen nicht. In den Kommentaren zum Jakob Frank Artikel wurde das ja kurz angeschnitten. Die Ketzerei sei immer destruktiv, Häretiker werden von Jay Michaelson aber ein wenig genauer betrachtet:

We do know, however, that they were heretics, someone who actively chooses his or her own belief system (heretic comes from the Greek aireo, to choose) without looking for guidance to authority figures. Of course, the heretic is rare today precisely because she is ubiquitous; in our day, thank G-d, everyone chooses to believe what they want, which makes the notion of a heretic a rather empty one. It’s a gesture, more than anything else. von hier

Häretiker könnte es folglich also nur innerhalb geschlossener religiöser Systeme geben. Heute ist die Übertretung von Normen in der Regel keine große Sache mehr. Ein Cherem wird nur noch seltenst ausgesprochen und meist ist es heute nur ein symbolisches Mittel (so wie gegen den Neturej Karta Rabbiner Friedmann aus Wien). Häretiker werden zuweilen Juden bezeichnet, die nicht konform mit der eigenen Auslegung des Judentums gehen und dennoch besteht heute die Freiheit zur Wahl, so daß sich aber die großen Strömungen immer wieder sonarhaft aneinander reiben und als Korrektiv benutzen. Das Erwachen der Reformbewegung zog auch Veränderungen in der Orthodoxie nach sich. Die Öffnung der Orthodoxie durch die moderne Orthodoxie und das Wirken zahlreicher Outreachgruppen entfachte wiederum in den nichtorthodoxen Juden ein Interesse an dem, was dort vor sich geht und zieht auch eine Traditionalisierung des nichtorthodoxen G-ttesdienstes nach sich.