Israel im ZEIT-Dossier Wolfgang Büscher reiste durch Israel und verfasste für das Dossier der ZEIT(leider wohl noch nicht online verfügbar) einen ausführlicheren Reisebericht: Nicht sensationslüsternd, sondern jeweils auf einen bestimmten Ausschnitt der israelischen Gesellschaft fokussierten Teil bezugnehmend, durchschneidet er die Demographie Israels und zeigt jeweils einen Ausschnitt. Nicht Besetzer und Besetzte, nicht Mitleid und Hass, sondern viel mehr Menschen in ihren jeweiligen Umgebungen, Verpflichtungen und Sichtweisen. Für viele, die englisch- und deutschsprachige Blogs aus Israelvielleicht nichts neues, für diejenigen, die nicht diese Sichtweise einnehmen können, sind Figuren außerhalb der medialen Stereotypen (je nach politischem Gusto) vielleicht sogar überfordernd und so ist man vielleicht versucht, sich eine Identifikationsfigur zu suchen „Das ist meine Meinung” oder „So sollte es sein” sagen wollend. Dennoch bricht auch in Büscher zuweilen manchmal dieser vorgeformte Betrachter durch. Doch zurück zur Beschreibung des Artikels von Büscher: Er spricht mit Vertretern der Linken, wie etwa mit Joschua Sobol, stellt dem Leser den Besitzer von Mike’s Place einem Strandcafé in Tel Aviv vor, trifft Naomi Bubis, deren Vater Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland war, durchstreift den Teil von Tel Aviv in dem es mittlerweile Geschäfte gibt, die sich stolz das Zertifikat LoKascher (nicht koscher) verpassen und zu einem Großteil Produkte aus Schweinefleisch für ein Publikum mit russischsprachigem Hintergrund anbieten. Eine junge Frau wird vorgestellt, die für die Armee Wehrdienstverweigerer beurteilte, zwei Frauen von Jesch Din, die sich für die Belange von arabischen Bewohnern im Westjordanland einsetzen und gegen militante Siedler verteidigen. Dann wird aber auch ein Vertreter der Siedler vorgestellt. In Kedumim trifft Büscher auf Professor Josef ben Schlomoh, der bei Gerschon Scholem lernte. Hier wird klar, dass echte Objektivität hier nicht möglich ist und Büscher formuliert das auch:

Hoch über dem Westjordanland sitzen wir mit dem Siedler-Philosophen unter einem kahlen Baum. Auch ohne dieses Beckett-Bühnenbild wäre die Situation seltsam genug. Ein Reporter aus Deutschland, einem Land, dessen Exzesse die zionistische Landnahme vom nationalen Spleen des späten 19. Jahrhunderts zur Überlebenstat derer werden ließen, die sich in der Nazizeit nach Palästina retten konnten – dieser Reporter befragt den Siedler-Philosophen nach der Legitimität dessen, was er und seine Leute hier heute tun. Aus dem Zeit Dossier, Zeit Nr. 15/2007

Man ist durchaus geneigt zu schreiben, dass es sich bei der zionistischen Idee nicht um einen nationalen Spleen gehandelt habe, angesichts der antisemitischen Ausschreitungen schon lange vor Beginn der Schoah überall in Osteuropa. Man erinnere sich an das Pogrom von Odessa 1821, nach dem 1822 eine erste Auswanderungswelle nach Palästina einsetzte. Selbst im 20. Jahrhundert gab es zahllose Ausschreitungen. Zwischen den Jahren 1903 und 1906 kamen bei Pogromen in Russland etwa 2000 Juden ums Leben. Der Zionismus kam erst um die Jahrtausendwende ins Spiel, nachdem 1897 Herzl den ersten Zionistenkongress berief. Überhaupt marschier hier der Text kurz ins Abseitige:

Kann denn der siedelnde Philosoph dies Immerweiter-und-weiter-Siedeln begründen, über die schiere alttestamentarische Machtfrage hinaus: Wir oder sie?

Bei der Verbindung irgendwelcher Begriffe mit dem Adjektiv alttestamentarisch streuben sich die Nackenhaare des kritischen Medienbeobachters meist schon, bevor das Substantiv gelesen wurde und so ist auch hier die Frage, was der Autor damit impliziert? Dann geht es aber wieder um Grundsätzliches: Die zunehmende Spaltung zwische Religiös und Säkular

Was hält es morgen noch zusammen, dieses Land ohne Verfassung und ohne Grenzen – die verspätetste aller späten Nationen der Welt? Was wird sein, wenn der zionistische Fels, wenn die Identität des säkularen Judenstaates weiter erodiert? Zwei Mächte nagen daran, links nagt die Globalisierung und rechts jene Orthodoxie, die das zionistische Projekt ohnehin nie gewollt hat – anders gesagt, das Sushi-Prinzip von Tel Aviv und die messianische Strenge von Jerusalem.

Im Anschluß an diese Fragestellung macht sich Büscher auf, die Welt der Orthodoxen in Jeruschalajim zu erkunden und trifft dort religiöse Zionisten und Antizionisten… Wer die Möglichkeit hat, die Zeit einzusehen, oder zu kaufen, der sollte sich den Artikel, trotz einiger Seltsamheiten, zu Gemüte führen.