„Warum war es in der DDR so schwer, Jude zu sein? ” ist eine der Fragen, die Wolf Biermann dem Magazin Cicero beantwortet, etwas konfus jedoch das ganze und mit einer etwas übertriebenen Lockerheit. Sich um Kopf und Kragen reden, kann man das wohl nennen, denn in seiner Antwort auf die Frage „Sie haben einmal behauptet, dass Sie keine jüdische Identität haben.” nennt er die Halachah „dumm” und das ist doch ein wenig zu respektlos:

Ich bin ja auch in einem doppelten Sinn kein Jude: Nach der dummen Halacha bin ich kein Jude, und ich habe auch keine jüdische Kultur. Die Menschen, die in einem kulturellen Sinn aus mir einen Juden hätten machen können, sind ja alle ermordet worden. von hier

und über Lustiger sagt er:

Der hat mich, wie wir ironisch sagen, verjudet. Aber auch nicht, weil er mich verjuden wollte. Sondern anders. von hier

Die, bereits angesprochene, überzogene Lockerheit, gibt dem Interview einen seltsamen Beigeschmack und an dieser Stelle hätten die beiden Interviewer (damals Mitarbeiter des Aufbaus) doch ansetzen können. Wie ist das gemeint? Meinen Sie das wörtlich?

2006 nämlich kommt er etwas elaborierter und klartextlicher daher:

Der Staat Israel hatte in Deutschland schon eine bessere Presse. Drei Jahrzehnte nach dem Holocaust hatten die Deutschen dem jüdischen Volk schon fast verziehen, was sie ihm angetan haben. Doch nun werden die Täter mehr und mehr ungnädig angesichts dieses heillosen Dauerkonflikts ihrer Opfer. Immer wieder höre ich das kalt-herzliche Argument: Diese Juden müßten doch während der Nazizeit am eigenen Leibe gelernt haben, was Unterdrückung ist. Na eben drum! halte ich dann heiß-herzlos dagegen, die Überlebenden haben die Schoah-Lektion gelernt und wollen sich niemals wieder abschlachten lassen. von hier

und

Die simpleren Durchschnittsdeutschen ergreifen Partei für die Araber. Es wird wieder der Refrain des alten Liedes geschwiegen, geknurrt und geplärrt: Die Juden sind an allem schuld! Und auf den reflexhaften Vorwurf des Antisemitismus antworten unsere modernen Judenhasser cool: »Man wird Freunde doch kritisieren dürfen!« Mit dem scharfen Auge starren die Deutschen auf die Juden in Israel, mit dem triefenden Auge glotzen sie auf die Araber in Palästina. Das romantische Verständnis der Deutschen für die Islamisten im Nahostkonflikt hat aber Gründe. Sie halten Araber für affige Wilde, für unmündige Menschen dritter Klasse, an die man noch keine aufklärerisch-humanen Maßstäbe anlegen darf. Die Zuneigung der Deutschen ist eine Art von vormundschaftlicher Verachtung. Der schwärmerische Respekt vor dem Fremdländischen ist nur Bequemlichkeit und Hochmut. Ich sehe im Multi-Kulti-Geschwärme meiner alternativen Zeitgenossen die seitenverkehrte Version des Rassendünkels von gestern. von hier

Als er dies schrieb blieb das leider völlig unbeachtet, weil das Medieninteresse an den selbsternannten Kritikern der Nahostpolitik weitaus größer ist…

Erschienen ist das Interview wohl schon in der Printausgabe im Jahre 2004, nun zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft hat es das Magazin online wieder aus dem Hut gezaubert.