Zeitartikel Judentum steht über dem Artikel in der aktuellen Ausgabe der ZEIT, aber nicht Thema des Artikels gleichen Namens. Thema des Artikels ist das Judentum. Die ZEIT hat in der vergangenen Woche eine Serie über Religionen begonnen und widmet sich in dieser Aufgabe dem Judentum. Das Ergebnis kann sich durchaus sehen lassen (man erinnert sich ja nicht gern an den SPIEGEL-Artikel zum Jahreswechsel) und vermeidet (eigentlich vollständig) Klischees. ZEIT-Mitherausgeber Josef Joffe hat dazu einen gelungenen Text verfasst, der dabei einige zentrale Fragen des Judentums erläutert. Wenn man es so sagen kann, ist es eine Art Spaziergang durch die jüdische Religion:

Wie kommt ein Jude in den Himmel? Eine »typisch« jüdische Antwort wäre die Gegenfrage: Hat er keine anderen Zores? Ein Christ oder Muslim würde jetzt gequält den gebotenen Ernst anmahnen. Doch wäre die Ironie keine Ausflucht, sondern der Einstieg in eine spezifisch jüdische Eschatologie (»Lehre von den letzten Dingen«). Himmel und Hölle spielen nur eine vage, keine zentrale Rolle. von hier

Josef Joffe besucht bei seinem Rundgang vier Stationen jüdischer Lehre bzw. betrachtet vier Aspekte des Judentums etwas eingehender „Sünde und Erlösung”, „G-ttgefälligkeit und Gesetz”, „Glauben und Vernunft” und „Dogma und Dehnung”. Natürlich werden nicht alle Aspekte jüdischen Lebens angesprochen, das wäre innerhalb eines (wenngleich umfangreichen) Zeitungsartikels wohl auch kaum möglich, aber viele Aspekte werden angerissen und in einen Kontext gestellt. So widmet sich Joffe auch der, in letzter Zeit immer wichtiger werdenden, Frage nach dem religiösen Fundamentalismus:

Die Offenbarung teilt das Judentum mit seinen beiden Nachfolgern – aber wieder mit einem interessanten Unterschied. Auch ultraorthodoxe Juden glauben wie andere Fundamentalisten an die Buchstäblichkeit des Gotteswortes. Doch ist nach der Offenbarung im Sinai einiges Wasser durch den Jordan geflossen – und die Gottesbotschaft in die Hände der Menschen. Den Übergang markiert eine berühmte Geschichte aus dem Talmud (Bava Metzia, 59), die von einem Auslegungsstreit zwischen den Weisesten unter den Rabbinen handelt. Rabbi Eliezer versucht den Disput mit allerlei wundersamen Zeichen zu gewinnen: mit einem Baum, der sich selbst entwurzelt, mit einem Bach, der plötzlich rückwärts fließt. Doch die Kollegen bleiben ungerührt. Schließlich ruft Eliezer Gott an, und der sagt erwartungsgemäß: »Warum streitet ihr mit Eliezer, ihr seht doch, dass das Gesetz so ist, wie er sagt.« Da widerspricht Rabbi Joschua: »Es ist nicht im Himmel.« Was wollte er damit sagen?, fragt der Talmud. Rabbi Jeremiah antwortet: »Da wir die Torah vor langer Zeit im Sinai empfangen haben, hören wir nicht mehr auf himmlische Stimmen.« Und wie reagierte der Herr? Er lachte und sagte: »Meine Söhne haben mich geschlagen.« Die Moral? Das Gesetz gehört nicht mehr Gott, sondern den Menschen – vergesst die himmlischen Stimmen und Wunder. Daraus folgt eine praktische Einsicht, die das Leben mit den 613 Ge- und Verboten etwas erträglicher macht: Wer mit dem Gesetz leben will, muss es auslegen, muss es neuen Bedingungen menschlicher Existenz anpassen können – dies aber nicht nach Lust und Laune, sondern regelhaft, vernunftbetont und im Einklang mit allen Beteiligten. von hier

Zum gleichen Thema schreibt Harald Martenstein in der ZEIT in seiner Kolumne, natürlich etwas plakativer und mit einem gewissen Grad an Ironie:

Diese Religion [das Judentum] braucht wahrscheinlich so dringend eine Reformation wie der Islam, nur sind ihre Anhänger im Durchschnitt gebildeter und kosmopolitischer, sie radikalisiert sich folglich nicht, sondern zerfällt in aller Stille in orthodoxe, halbliberale oder dreiviertelliberale Unterreligionen, viele Juden wenden sich ganz von ihr ab. Und zu den grausamen Paradoxien der Geschichte gehört die Erkenntnis, dass die jüdische Religion vom Judenhass gleichzeitig bedroht und am Leben erhalten wurde. von hier

Das Onlineangebot zu diesem Themenkomplex wird abgerundet durch einen Überblick über das Judentum. In der Printausgabe ist noch ein Porträt der israelischen Rabbinerin Einat Ramon, die ihren Abschluß am Schechter Institut gemacht hat. Sie war die erste in Israel geborene Frau, die Rabbinerin geworden ist und dementsprechend heißt der Artikel auch „Die Erste”.