Den regelmässigen Lesern des Blogs sei mitgeteilt: Doch! Am vergangenen Schabbat erreichte mich eine Karte für die Einweihung der Synagoge in Gelsenkirchen. Aus diesem Grund kann ich also auch aus erster Hand berichten:

Synagogeneinweihung Gelsenkirchen

Am Morgen, in der alten Synagoge, stellte sich heraus, dass der geladene Musiker Giora Feidman nicht kommen würde und dass die angekündigtem Klezmorim keine nichtjüdische Gruppe von engagierten Musikern war, sondern eine Gruppe namens Klezmer Chidesch aus Berlin. Gute, echte Musiker, die mit Spaß spielten und ein angenehmes Maß Selbstironie mitbrachten. Die eingeladenen Rabbiner zeigten an, welche Ausrichtung die Synagoge wohl in Zukunft haben soll, sie waren (mit einer einzigen Ausnahme) Mitglieder der Orthodoxen Rabbinerkonferenz: Rabbiner Avichai Apel, der Düsseldorfer Rabbiner Julian Chaim Soussan und der Kölner Rabbiner Netanel Teitelbaum. Aus Antwerpern kam zusätzlicher Rabbiner Malinsky, der schon die Grundsteinlegung begleitete. Die Rabbiner gestalteten den, wirklich eindrucksvollen, religiösen Teil, mit kurzem Schacharit und Torahlesung in der alten Synagoge und Einheben der Torah in der neuen Synagoge. Unvermeidbar danach waren zahlreiche Grußworte und Reden, die die meiste Zeit (gefühlt) in Anspruch nahmen und die aber neugierig machten, wie man wohl Neues sagen könnte, nachdem vieles schon bei den Eröffnungen und Grundsteinlegungen der jüngsten Zeit gesagt worden ist. So heiß die Aufgabe „_Variationen über den Satz Wer ein Haus baut, will bleiben_” und so versuchte es Charlotte Knobloch und ergänzte diesen bekannten Synagogeneröffnungssatz mit dem Hinweis, sowohl Bau einer Synagoge, als auch der Zuzug osteuropäischer Juden nach Deutschland seien Zeichen von Vertrauen in die Bundesrepublik. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers kam ihr zuvor und formulierte es so:

„Der Bau der Synagoge ist ein großer Vertrauensbeweis in die Stabilität unserer Demokratie und ist ein klares Bekenntnis zu unseren kulturellen Grundlagen. Wer eine Synagoge baut, will auch, dass seine Kinder und Enkelkinder bleiben.“

Nun landet der Spielball bei der jüdischen Gemeinde, die nämlich nun die Aufgabe hat, Leben in die Synagoge zu bringen und dafür sorgt, dass sich überhaupt Kinder und Enkel als Juden fühlen und auch jüdisch leben wollen. Nach dem materiellen Aufbau müsste nun nämlich der geistige Aufbau beginnen und zwar nach innen wirkend, in die Gemeinde hinein. Blick in die neue Synagoge Der Synagogenraum an sich. Man könnte man es so formulieren, wie die Rheinische Post:

Die Architektur tritt sanft zurück, präsentiert die Symbole. Und davon gibt es viele. Wie den historischen Thoravorhang aus blauer Seide mit Abbildungen der Gesetzestafeln, der Krone. von hier

Mit anderen Worten handelt es sich bei der Synagoge selbst um einen kubischen Raum der auf den Aaron haKodesch hin konzentriert ist. Der einzigen Schmuck ist der Vorhang desselben. Die Bimah befindet sich direkt vor dem Aaron ha Kodesch, die Frauen sitzen in den hinteren Bänken, etwas erhöht. zuvor heißt es in der Rheischen Post:

Für das Gebäude selbst gibt es keine Bauvorschriften nach jüdischem Glauben. auch von hier

Das erklärt vermutlich auch, warum ich im gesamten Gebäude keine einzige Mesusah fand…

:update: Beeindruckend war der massive Andrang am Tag der offenen Tür. Einen Bericht darüber findet man hier.

Was Dr. Jürgen Rüttgers noch gesagt hat, im Volltext: Mein Vorgänger, Johannes Rau, hat einmal sinngemäß gesagt: Wer ein Haus baut, will bleiben. Ich möchte ergänzen: Wer eine Synagoge baut, will auch, dass seine Kinder und Enkelkinder bleiben. Und er will noch mehr. Er will dem Leben eine Richtung geben, Werte vermitteln, eine Kultur leben und weitergeben. Das ist wichtig in einer Zeit, in der fast alles immer wieder in Frage gestellt und relativiert wird.

Ich weiß: Das ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit. Und es war auch keine Selbstverständlichkeit, als Sie, liebe Frau Knobloch, vor wenigen Tagen erst die Deutschen zu mehr Vaterlandsliebe aufgerufen haben. Sie haben richtig gesagt: „Nur derjenige, der sich des Wertes seiner Heimat bewusst ist, nur wer sein Land liebt, wird sich für dessen Existenz und Fortentwicklung engagieren.“ Der Bau dieser Synagoge ist ein Zeichen für diese Liebe. Mich erfüllt der Bau dieser Synagoge deshalb mit Freude. Und Stolz. Denn sie ist ein großer Vertrauensbeweis in die Stabilität unserer Demokratie.

Und sie ist ein klares Bekenntnis zu unseren kulturellen Grundlagen – besonders, wenn das wie hier in Gelsenkirchen auf jenem Gelände geschieht, auf dem auch die frühere Synagoge gestanden hat – diejenige, die während der Nazi-Barbarei zerstört wurde.

Der jüdische Denker Edmond Jabès wurde in Kairo geboren und ist in Ägypten aufgewachsen. Er hat einen Großteil seines Lebens in Paris verbracht und seine Werke in Französisch geschrieben. Er war jemand, der in vielen Kulturen zu Hause war – und der darum keiner Kultur ganz angehörte.

Er hat viel über das Fremdsein nachgedacht. Und er hat viel über die jüdische Erfahrung in der Geschichte und besonders im 20. Jahrhundert nachgedacht. Besonders beeindruckt hat mich ein Satz von ihm, der lautet sinngemäß: „Frag einen Fremden nicht, woher er kommt, sondern wohin er geht.“ Denn die Frage nach dem Woher legt fest.

Die Frage nach dem Wohin eröffnet Perspektiven. Wer nach dem Woher fragt, betont das Fremde. Wer nach dem Wohin fragt, eröffnet die Chance auf einen gemeinsamen Weg. Wer nach dem Woher fragt, schaut zurück. Wer nach dem Wohin fragt, äußert die Hoffnung, dass das Fremde nicht fremd bleiben muss.

Es geht darum, Brücken zu bauen zwischen den unterschiedlichen Kulturen und Lebensweisen. Es geht darum, Verständnis und Toleranz zu fördern in einer Welt, in der die Konflikte zwischen den Kulturen durch die Globalisierung eher zunehmen als abnehmen.

Deshalb müssen wir nicht immer nur darauf sehen, wo wir herkommen, sondern vor allem darauf, wohin wir gehen, wohin wir gemeinsam gehen können. Paul Spiegel, an den wir uns dankbar erinnern und den wir alle vermissen, hat seiner Autobiographie den Titel „Wieder zu Hause“ gegeben. Er hat ihm aber bezeichnenderweise ein Fragezeichen hintan gestellt – in diesem Sinne interpretiere ich auch die Spannung zwischen dem Woher und dem Wohin, die Jabès beschreibt. Denn Paul Spiegel verband dieses Fragezeichen zugleich mit der Feststellung, dass die in Deutschland lebenden Juden ihre Koffer mittlerweile ausgepackt haben – ein Bild, das berührender und ergreifender nicht sein könnte.

Das war – politisch gesehen – ein deutliches Zeichen dafür, dass Frieden mit einem Land und den heute hier lebenden Menschen gemacht worden ist. Ein Frieden, von dem unterstellt wird, dass er nicht zerbrechlich ist und schon gar nicht falsch und trügerisch. Es war ein Bild, das sagen sollte: Wir gehören hier hin – hier ist unsere Heimat.

Ich glaube, es ist kein Wunder, dass uns in Nordrhein-Westfalen dieses Vertrauen in besonderer Weise entgegengebracht worden ist. Um das jüdische Leben in Nordrhein-Westfalen zu stärken und zu festigen, haben die Landesregierung und die Jüdischen Landesverbände am 31. Oktober 2006 den 3. Änderungsvertrag zum Staatsvertrag unterzeichnet. Die Landesregierung hat schon für 2006 ihre finanziellen Leistungen für die jüdischen Gemeinden um rund zwei Millionen Euro erhöht.

Denn ich weiß, dass die jüdischen Gemeinden vor großen finanziellen Problemen stehen. Sie schultern die wichtige Aufgabe, die vielen neuen Zuwanderer aus Osteuropa und den Staaten der ehemaligen Sowjetunion in unsere Gesellschaft zu integrieren. Sie brauchen dabei die Unterstützung des Landes.

Es ist ein Geschenk und eine Freude, dass es nach der Shoa wieder jüdisches Leben in Nordrhein-Westfalen gibt. Es macht Hoffnung zu sehen, wie sich die jüdischen Gemeinden allein in den vergangenen 16 Jahren entwickelt haben. Im Jahr 1990 zählten die jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen nur knapp 5.000 Mitglieder. Heute sind es mehr als 31.000. Das ist ein großer Erfolg.

Wir haben starke, lebendige jüdische Gemeinden. In Köln und Düsseldorf gibt es wieder eigene jüdische Schulen und Kindergärten. Neue Synagogen sind wieder errichtet worden wie beispielsweise in Wuppertal oder Duisburg oder sie sind im Bau wie in Bochum. Die Einweihung der Synagoge heute hier in Gelsenkirchen ist ein weiteres ganz wichtiges Signal für die Lebendigkeit des jüdischen Lebens hier bei uns in Nordrhein-Westfalen. Dazu gehört auch, dass es jüdische Kulturtage gibt und sich ein immer stärkeres Interesse am jüdischen Leben und der jüdischen Kultur in unserem Land entwickelt. Und ich erwähne an dieser Stelle auch die Fülle von Städtepartnerschaften und Austauschbeziehungen mit Israel gerade zwischen Jugendlichen, beispielsweise im Rahmen der Aktion Sühnezeichen.

Ich hoffe und wünsche mir, dass die Synagoge hier in Gelsenkirchen ein lebendiger und starker Mittelpunkt des jüdischen Lebens im ganzen Ruhrgebiet und darüber hinaus in ganz Nordrhein-Westfalen sein wird. Ich hoffe, dass sie dazu beiträgt, dass aus Paul Spiegels Fragezeichen immer mehr ein Ausrufezeichen wird. (von hier)