Die Einheitsgemeinde und ihre Auswirkungen waren in diesem Blog und den Kommentaren zu den verschiedensten Gelegenheiten schon häufiger irgendwie Thema, meist ging es dabei um die Reibereien zwischen der UPJ und dem Zentralrat, der ja die Einheitsgemeinden vertritt bzw. vertreten soll. Jüdinnen und Juden wissen, dass die Einheitsgemeinde, obwohl manchmal die einzige jüdische Vereinigung vor Ort, nicht immer der Ort ist, an den sie gehen wollen, weil die Strukturen - naja, sagen wir „festgefahren” sind. So bestimmt meist der Vorstand über die religiöse Ausrichtung einer Gemeindesynagoge und nicht die regelmässigen Beter. Yoav, von „Ein Jude in Deutschland” setzt sich nun mit der Bedeutung von Chabad für die Einheitsgemeinden auseinander. Chabad ergänzt oder ersetzt (je nach Aktivitätsgrad der jüdischen Ortsgemeinde) nämlich die jüdische Bildungsarbeit und kümmert sich vielerorts um den Aufbau jüdischer Netzwerke. Chabad hat dabei den Vorteil orthodox zu sein, denn lange galt hier inoffiziell die Orthodoxie als Standardjudentum, während in den USA die progressiven Richtungen Mainstream waren. Ich nenne die Orthodoxie in Deutschland nicht Mainstream, weil praktisch die wenigsten Mitglieder einer Gemeinde orthodox lebten. Heute ist das noch immer eine Minderheit, aber immerhin gibt es schon mehr Familien, die ernsthaft und observant orthodox leben. Das ist eine Tatsache, die man positiv bewerten muß, dass es Familien gibt, die observant leben und für die das Judentum nicht nur eine theoretische Größe ist. Weil es tatsächlich den Hunger nach jüdischer Spiritualität und nach Informationen über das Judentum gibt, hat Chabad natürlich auch Erfolg. Jüdische Bildungsarbeit deluxe und Öffentlichkeitsarbeit mit großer Effektivität (mit Ausnahme von Chabad Düsseldorf, hier muß man sich die Informationen mühsam ertelefonieren) sind ein großer Baustein des Erfolges. Mancherorts werden sie in die Gemeinden irgendwie integriert, andererorts kommt es zu Konflikten und man arbeitet außerhalb der Gemeinden.

Ein Jude in Deutschland schlußfolgert aus dem großen Engagement:

Das Gute daran ist jedoch, dass Chabad gerade durch die Schwächung der Einheitsgemeinde erstmals die “freie Marktwirtschaft” eingeführt hat. Somit gibt es in der deutsch-jüdischen Landschaft endlich wieder echte Konkorrenz, d.h. für dieses Land neue Möglichkeiten jüdischen Daseins, die über den bisherigen Konsens hinausgehen.

Konkurrenz im tatsächlichen Sinne ist das jedoch vielerorts leider nicht. Das würde bedeuten, Gemeinde E(inheitsgemeinde) würde versuchen mit Gemeinde C(habad) in den Wettbewerb zu treten. Das findet jedoch nicht statt. Ein Grund dafür könnte die Kirchensteuer sein, denn die förderte eine passive Verwaltungshaltung die keinen Outreach braucht, um eine Gemeinde lebendig zu halten. Natürlich gibt es auch Gemeinden, die gegen diesen Trend angehen und aktiv werden, aber ein echter Wettbewerb ist nicht entstanden. Noch weniger mit den liberalen Gemeinden, hier überwiegt die Skepsis und die Wahrung dessen, was man hat. Vielleicht wären viele Entwicklungen anders verlaufen, wenn man, im eigentlichen Sinne der Einheitsgemeinde, den nichtorthodoxen Räume und Möglichkeiten zur Verfügung gestellt hätte… Man kann nur hoffen, dass dies eines Tages erkannt werden wird und hier tatsächlich lebendige Gemeinden entstehen.

Für die alte Struktur der Machtverteilung, d.h. für die Einheitsgemeinde, gibt es hingegen keinen Ausgang: Sie wird mit immer heftiger Konkurrenz rechnen müssen und folglich auch weiterhin immer schwächer werden. So ist es in Wien, wo Chabad in Zusammenarbeit mit der Lauder-Stiftung eine parktisch neue, staatlich nicht anerkannte Gemeinde gegründet hat, während sich die IKG anscheinend gerne “ergänzen” bzw. verdrängen lässt. Aber vielleicht es ist schon Zeit, dieses Stück nationalsozialistisches Erbe langsam verschwinden zu lassen? Die Einheitsgemeinde hat sicherlich ihre schönen Seiten, z. B. in der Betonung des bloßen Jüdischseins gegenüber der denominationellen Zugehörigkeit; aber letzten Endes ist sie doch nur aus Not entstanden, ja erzwungen, und daher ist es nicht gerade das Schöne des Gemeinsamen, sondern eher der kleinste gemeinsame Nenner, der hier den Vorzug hat und die Einheitsgemeinde ermöglicht. Diese setzt nämlich auch heutzutage eine jüdische Landschaft voraus, in der es zu viel Angst gibt und zu sehr an Selbstbewusstsein fehlt. Wenn es die Angst ist, die uns zusammenhält, dann machen wir am besten jeweils alleine weiter; es soll stattdessen das verstärkte Selbstbewusstsein sein, das uns noch den Mut gibt, um nicht nur den eigenen Weg zu gehen, sondern auch um manchmal - aus freiem Willen allein - mit den Konkurrenten zusammenzuarbeiten. von hier

Die Gemeinden sind nicht wirklich schwächer geworden, sondern vielleicht ehr weniger aktiv oder, wenn sie gegen Liberale sind, mehr orthodox. Übrigen ist gegen etwas zu sein, keine gute Motivation, man sollte vielmehr für etwas einstehen und für etwas eintreten. Chabad tut das, das muß man ihnen zugute halten.