Dieser Beitrag ist praktisch eine Fortsetzung des Artikels „Was geht da vor?” in der ich die seltsamen Verhältnisse im Beste-Freunde-Land Russland in dem politische Morde irgendwie an der Tagesordnung zu sein scheinen. Journalisten bewegen sich auf ganz dünnem Eis und riskieren mit jedem geschriebenen Wort ihr Leben. Gestern traf es einen Itar-Tass Mitarbeiter:

Anatoli Woronin sei tot in seinem Appartement in Moskau gefunden worden, meldete Itar-Tass unter Berufung auf Kreise der Moskauer Generalstaatsanwaltschaft. Dem 55-Jährigen seien mehrere Messerstiche zugefügt worden, hieß es weiter. Derzeit werde in alle Richtungen ermittelt, man gehe aber von einem Motiv im persönlichen Bereich aus. Der Tote sei von seinem Fahrer entdeckt worden. Woronin arbeitete seit 23 Jahren bei Itar-Tass. Am Samstag vergangener Woche war die prominente russische Journalistin Anna Politkowskaja in Moskau erschossen worden. Ihre Mörder sind bisher nicht gefasst. Von hier

In einem offenen Brief wandte sich die russische Journalistin Elena Tregubowa nun, in der letzten Ausgabe der Zeit, mit einem offenen Brief an Kanzlerin Merkel:

Ich weiß nicht, Frau Merkel, was Ihnen Putin bei dem persönlichen Treffen unter vier Augen zu diesem Mord gesagt hat. Ich denke, dass er den Mord an Politkowskaja als Zufall darzustellen versucht hat.

Doch wie kann hier von Zufall die Rede sein, wenn Putin vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an die freie Presse und Opposition planmäßig vernichtet hat? Er hat konsequent alle unabhängigen oppositionellen Fernsehsender in Russland liquidiert: NTW, TV-6, TW-S. Die Zeitung, für die Anna Politkowskaja geschrieben hat, die Nowaja Gaseta, ist das letzte Printmedium, das Kritik an den Geheimdiensten äußert, am Krieg in Tschetschenien und an den vom Kreml sanktionierten ethnischen Säuberungen. Während Putins Präsidentschaft sind in Moskau zwei Mitvorsitzende der Partei Liberales Russland ermordet worden, der letzten Partei, die Putin schonungslos kritisierte. Gegen die Moskauer Menschenrechtler aus der Gruppe Helsinki wurde ein »Spionageskandal« inszeniert – sie wurden bezichtigt, für die westliche Spionage gearbeitet zu haben – und nun riskiert jeder, der sich für die Menschenrechte in Russland einsetzt, als westlicher Spion tituliert zu werden, wie zu Zeiten der Stalinschen Repressionen. Übrigens – der letzte Aufruf, den Anna Politkowskaja geschrieben hat, war ein Brief gegen die ethnischen Säuberungen, die gegen Georgier in Moskau durchgeführt werden und im Verlauf derer das Innenministerium und die Geheimdienste von allen Moskauer Schulen Listen mit Namen der Kinder angefordert haben, um die Eltern mit georgischen Namen ausfindig zu machen und zu verfolgen. ZEIT-online

Sie beendet ihren Brief mit den Worten

Glauben Sie wirklich, Frau Merkel, dass das russische Gas oder das russische Erdöl eine ausreichende Bezahlung dafür sind, dass man die Augen vor der physischen Vernichtung der Opposition und der freien Presse in Russland verschließt? Schweigen bedeutet in dieser Situation Mittäterschaft. ZEIT-Online

Eine Demonstration zum Gedächtnis an die verstorbene Anna Politkovskaja wurde niedergeschlagen, wie der SPIEGEL-online berichtet:

Bei der Versammlung in der Stadt Nasran hätten Polizisten eine Menschenrechtskämpferin angegriffen und ihr die Nase aufgeschlitzt, sagte ein Vertreter der Organisation Memorial, Usam Baisajew, im Radio. Die Frau sei im Krankenhaus. Außerdem hätten Polizisten den Demonstranten Bilder von Politkowskaja aus der Hand gerissen und seien auf dem schmutzigen Boden auf den Bildern herumgetrampelt. Zwei Menschenrechtskämpfer habe die Polizei festgenommen.

Das ist freilich nicht so interessant für die Öffentlichkeit wie die Tatsache, dass ein israelischer Politiker sich die Hände schmutzig gemacht hat. Das ist massenkompatibler und tut niemandem in Deutschland weh. Die ersten Mails dazu sind schon eingegangen. Ausgerechnet zu dem kurzen Kol-Nidrej Artikel von talmud.de:

Was berechtigt Sie zu der Behauptung, daß “Kol Nidre” keineswegs von Geschäftsverträgen entbinde, obwohl Sie doch immerhin wahrheitsgetreu den Wortlaut des “Kol Nidre” Gebetes abdrucken. Ich dachte immer, ich wäre des Lesens mächtig? Aber “alle Schwüre sind aufgehoben, ungültig und vernichtet” bedeutet auf gar keinen Fall, was die schwarzen Buchstaben mir raten, sondern allenfalls, daß man sich als Freier nicht an 200 Euro-Versprechen seiner Konkubine gegenüber gebunden fühlen muß - schon gar nicht an einem heiligen Sabbath?

Ich bezweifele stark, dass Betreiber russischer Internetseiten oder russisch-orthodoxer Seiten derlei Mails zur politischen Situation in Russland erhalten. Übrigens gibt es jetzt auch in Russland ein Hitler-Restaurant: Die JTA berichtet darüber.