Kehille-Test

Schon der zweite Teil der spontan entstandenen Rubrik „Der Kehille-Test”; tatsächlich folgte „Ein Jude” meiner Aufforderung aus dem Kommentar und verfasste einen Test für die Gemeinde Wien; genauer gesagt, für den Stadttempel im 1. Bezirk. Weitere Tests gerne an meine e-mail-Adresse (steht im Profil) oder über das online-Formular von talmud.de. Bei größerer Nachfrage wird natürlich eine eigene Rubrik auf talmud.de unausweichlich sein. Ich danke natürlich herzlichst „Ein Jude” (Aua, die Syntax die dadurch entsteht, tut weh)!

Am Tag nach Purim machte ich mich über Nacht auf den Weg nach Wien, das doch einige 100 km entfernt lag, um dort einen Termin wahrzunehmen. Ich trug einen Rucksack mit Tallis, Tefilin und einigen persönlichen Gegenständen bei mir. Als ich dann also in Wien ankam war es noch dunkel, die Strassenbahnen gingen dann auch wieder in Betrieb. Ich entschloss mich, aufgrund der als doch recht aktiv bekannten jüdischen Gemeinde, zu schauen, ob es auch unter der Woche einen Schacharisminjon gibt, da ich auch sonst zumindest einen geeigneten Ort, um allein zu beten, gebraucht hätte.

In Wien gibt es diverse orthodoxe Gemeinden, rationalistisch und chassidisch, aschkenasisch und sefardisch, wohl auch einen Neturei-Karta-Rabbiner, der der FPÖ als Alibijude dient und für unzurechnungsfähig erklärt wurde. Ich entschloss mich daraufhin, um böse Überraschungen zu vermeiden, und in der Hoffnung, einen jeckischen Ritus vorzufinden, mich zur Hauptsynagoge der IKG Wien zu begeben. Dort, so hatte ich gelesen, hat der Neturei-Karta-Mann Hausverbot. Der Stadttempel liegt im 1. Bezirk Wiens, nicht weit des Stephansdoms. Das Gebäude wurde im 19. Jahrhundert erbaut und wegen seiner Nähe zu Nachbargebäuden von den Nazis nicht zerstört. Tatsächlich gab es einen Minjon, zunächst kam ich allerdings an eine Sicherheitskontrolle am Eingang. Nach Passkontrolle, Befragung (der Sicherheitsmann war wohl Israeli, jedenfalls sprach er deutsch mit einem schwer verständlichen Akzent), Durchsuchung des Rucksacks, der Jacke, und Metalldetektorkontrolle wurde ich dann eingelassen. Die dem Sicheitsmann bekannten Beter wurden nicht kontrolliert.

Dann ging ich in den Gebetsraum, wochentags wird, wie in vielen Gemeinden üblich, in einem kleineren Raum gebetet. Ich wurde sofort herzlich in englischer Sprache begrüsst, ich frug “Do you speak German?”, ein Gemeindemitglied antwortete “Na, dätsch kemmer net, mir redens wianerisch”. Ich war also definitiv angekommen. Ich unterhielt mich noch kurz mit den Leuten, der Rabbiner blieb leider nicht, da er die Rebbetzin zum Flughafen bringen musste.

Nun also das Gebet: Man folgte dem Siddur “Schma Kolenu”, der Choson hatte eine aschkenasische, leicht osteuropäische Aussprache. Gebetet wurde in üblicher orthodoxer Geschwindigkeit, alle Anwesenden waren, wie bei Minjonim lechol (unter der Woche) üblich, männlich.

Nach dem Gebet gab es noch Hamentschen, die von Purim übrig waren, sowie Alkohol. Ich unterhielt mich mit den Anwesenden. Schliesslich gab man mir sogar noch eine riesige Challe mit, um sicherzustellen, dass ich auch genug zu essen hatte.

Fazit: Sehr empfehlenswert. Man könnte sich ein Röntgengerät oder die Möglichkeit zur Abgabe des Gepäcks am Eingang statt langer Durchsuchung wünschen. Diejenigen, die mit dem Ritus nicht vertraut sind, werden Probleme haben, dem Gebet zu folgen (was allerdings in aschkenasisch-orthodoxen Gemeinden die Regel ist). Darum 4,5 von 5 Sternen.