„Davon haben wir nichts gewußt!” ist ein viel bemühter Satz in Deutschland, wenn es um die Schoah geht. Sie spielte sich scheinbar völlig unentdeckt auf einer völlig anderen Daseinsebene ab. Wenn ich mit dem früheren Besitzer der Synagoge von Selm-Bork beispielsweise spreche (der die Synagoge 1938 günstig erworben hat), der sich selbst hoch anrechnet das Gebäude gerettet zu haben (als Kohlenlager) und dann aber ganz frei von den früheren jüdischen Bewohnern erzählt. Nachbarn seien sie gewesen, aber „eines Tages waren die alle weg.” - Praktisch vom Erdboden verschluckt. Kollektive Amnesie obwohl das Regime nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass ein Ziel der Herrschaft die Auslöschung des Judentums sei.

Diesem Phänomen ging Peter Longerich mit seinem Buch „Davon haben wir nichts gewußt” auf den Grund. Aufmerksam wurde ich darauf durch die ZEIT: Die Zeit - Literatur : Das offene Geheimnis:

“Was haben sie wirklich gewusst? Um diese Schlüsselfrage hat sich die deutsche Geschichtswissenschaft lange Zeit herumgedrückt. Es gab einige wenige Aufsätze, dazu ein Buch des israelischen Historikers David Bankier von 1995 (Die öffentliche Meinung im Hitler-Staat), aber bislang keine große Untersuchung eines deutschen Autors. Diese Lücke versucht nun der in London lebende und lehrende Historiker Peter Longerich zu schließen. Sein Buch kann mit großer Aufmerksamkeit rechnen, denn es ist eines der letzten Tabus der deutschen Zeitgeschichtsforschung, das hier angegangen wird.”

Peter Longerich gelingt es, aus der Sicht des Historikers Antworten auf die Frage nach dem Wissen der Deutschen über die »Endlösung« und ihre Einstellung zur Judenverfolgung zu geben. Er hat die antisemitische Propaganda des Regimes analysiert, sich mit alliierten Rundfunkprogrammen und Flugblättern befasst, alle noch vorhandenen geheimen NS-Stimmungsberichte zur »Judenfrage« untersucht und zusätzlich Informationen aus Tagebüchern, Gerichtsakten, Aufzeichnungen ausländischer Besucher und anderen Quellen zusammengetragen. Longerich weist nach, dass die Judenverfolgung im Deutschen Reich nicht nur in aller Öffentlichkeit stattfand, sondern dass das NS-Regime ab Ende 1941 immer wieder gezielte Hinweise auf die »Vernichtung« der Juden gab. Die konkreten Einzelheiten des Massenmordes unterlagen zwar strikter Geheimhaltung, doch diese wurde immer wieder durchbrochen. Durch seine Propagandapolitik versuchte das Regime der Bevölkerung zu signalisieren, dass sie zu Mitwissern und Komplizen eines Verbrechens ungeheuerlichen Ausmaßes geworden und ihr Schicksal auf Gedeih und Verderb mit der Existenz des Regimes verbunden war.