Wenn die Rede von Pluralismus innerhalb der jüdischen Gemeinden war, dann konnte man mit Sicherheit immer jemanden sagen hören: „In Berlin funktioniert es doch auch” - nun wurden wir alle eines besseren belehrt. Prinzipiell scheint es in Berlin nicht anders zu sein als in zahlreichen anderen Gemeinden - nur größer (nun erscheint Elisabeth Berkes-Grossers Artikel schon fast als Weissagung darüber). In Berlin scheint es aber in erster Linie nicht um liberal und orthodox zu gehen, sondern auch um russisch und alteingesessen. Um es kurz zu machen: Der entnervte Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlin, Albert Meyer hat das Handtuch geworfen.

Die Berliner Zeitung orakelt:

Heute Abend tagt das Gemeindeparlament. Mit dem überraschenden Schritt Meyers steht die Gemeinde vor einer in dieser Form nie gekannten Zerreißprobe. An der Spitze der größten jüdischen Gemeinde in Deutschland werden wohl russische Zuwanderer die Macht übernehmen.

liefert aber auch einiges zum Hintergrund:

Die heftigen Auseinandersetzungen im Gemeindeparlament und hinter den Kulissen haben seit dem Frühjahr zugenommen - wie nie zuvor in der ohnehin als streitsüchtig geltenden Gemeinde. Die bislang so erfolgreiche und von Meyer initiierte Liste “Kadima” zerbröckelt. Persönliche Beleidigungen, sogar Handgreiflichkeiten in aller Öffentlichkeit, Untersuchungsausschüsse, Misstrauensanträge wechseln bei jeder Zusammenkunft ab - für Unbeteiligte mit kaum zu durchschauenden gegenseitigen Vorwürfen. Auch für die heutige Sitzung steht ein Misstrauensantrag gegen Meyer auf der Tagesordnung. Der fünfköpfige Vorstand ist handlungsunfähig. Zerrieben zwischen den Fronten steht Meyer, dem selbst Widersacher zugute halten, die Gemeinde würdig nach außen zu vertreten.

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Ähnlich reagiert der bekannte Historiker Julius Schoeps. Den Leiter des Moses-Mendelssohn-Zentrums erinnern die Parlamentsdebatten an eine “offene Psychiatrie”. “Am sinnvollsten wäre es, wenn die Staatsaufsicht eingreift. Der Innensenator soll seiner Kontrollpflicht gegenüber einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nachkommen”, sagt Noch-Parlamentsmitglied Schoeps.

und

Wird es zu einer Spaltung der Gemeinde kommen? Julius Schoeps sagt “Ja”. Beter aus Synagogen aus dem alten Westen überlegen bereits, sich als Synagogenvereine selbstständig zu machen und sich von den Russen abzukoppeln.

Dennoch ist mir nicht ganz klar, welche Haltung die Autorin eines anderen Artikels aus der Berliner Zeitung den russischsprachigen Gemeindemitgliedern gegenüber einnimmt:

Da wird der sicherlich nicht fehlerfreie Gemeindevorsitzende so lange unter Druck gesetzt (und zwar von durchaus machtgierigen Zuwanderern), bis dieser nur noch eins kann - entnervt aufgeben.

Doch zurück zu den Querelen in Berlin: (ebenfalls Berliner Zeitung)

Aktueller Anlass für Meyer aufzugeben, sind zunehmende Vorwürfe aus Migrantenkreisen. Sein Stellvertreter, Arkadi Schneidermann, hat nicht nur einen erneuten Misstrauensantrag gestellt, sondern sogar Anfang der Woche Strafanzeige gegen Meyer “wegen Untreue zu Lasten der Gemeinde” gestellt. Nach mehreren Rücktritten ist der gesamte Vorstand mit Meyer-Gegnern besetzt. Meyer spricht von “stalinistischen Methoden”, Beleidigungen und Verunglimpfungen.

Offenbar scheint aber auch die russischsprachige Zeitung “Jewrejskaja Gazeta” ein wenig mitzuspielen

Angriffe gegen den Vorsitzenden Meyer gibt es auch in der innerhalb der Berliner jüdischen Gemeinde viel gelesenen russischen Zeitung Jewreskaja Gaseta. Meyer intrigiere und schüre Angst. Chefredakteur Michail Goldberg selbst verweist in der neusten Ausgabe auf Meyers Vorgänger Alexander Brenner, der “Mut und Ehrlichkeit” gehabt habe, Neuwahlen auszurufen. “Die Gemeindeversammlung sollte nachdenken”, empfiehlt Goldberg. Im Gespräch ist nun, Brenner als Nachfolger zu benennen.

Nun werden wohl diejenigen, die bisher schon aktiv an einer Veränderung der Gemeinde mitgearbeitet haben, ihr Werk verstärkt fortsetzen können. So etwa Chabad Lubawitch. Lubawitch arbeitet zur Zeit daran, sich für die Gemeinde unersetzlich zu machen und wichtige Positionen zu übernehmen. Was tatsächlich in Zukunft passieren wird, weiß mit Sicherheit natürlich niemand. Zu wünschen wäre es, wenn man Berlin wieder als gutes Vorbild nehmen könnte und nicht als Beispiel einer erneuten Spaltung der jüdischen Gemeinden hier.