Kaum zu ertragen. Unangenehm, ein wenig eklig und vielleicht auch unnötig. Ob ich den Vorfall zwischen Außenminister Gabriel und Benjamin Netanjahu meine? Natürlich nicht! Ich meine die Reaktion darauf und nicht nur das übliche »was ich den Juden schon immer mal sagen wollte und jetzt haben die sogar einen ganzen Staat voller Juden«-Entlastungsgeschreibe. Das war zu erwarten. Ein Minister, dessen Aktivitäten in Deutschland sonst niemanden interessieren, fliegt ausgerechnet nach Israel und erfährt dort nicht die Liebe, die man erwartet. Gabriel, der ansonsten als personifiziertes Versprechen der Sozialdemokraten, dass sie in nächster Zeit keinerlei Ambitionen auf das Kanzleramt haben, wahrgenommen wurde, stand und steht nicht gerade im Fokus der Öffentlichkeit mit seinem Wirken. Deshalb blieb auch unbeobachtet, dass Gabriel sich selbst als Anwalt der Palästinenser ins Game eingebracht hat, als Freund von Abass und eben nicht als unbeteiligte vermittelnde Kraft. Unvergessen dürfte auch sein Auftritt sein, bei dem er Israels Präsenz in Hebron »Apartheid« nannte. Während das in Deutschland unbeobachtet blieb, hat man das in Israel sehr wohl wahrgenommen und der Besuch bei »Schowrim Schtika - das Schweigen brechen« wurde deshalb anders betrachtet, als ein spontanes Treffen mit irgendeiner zufälligen NGO. In einem Staat, in dem jedes Kind zur Armee geht, jeder bei der Armee war und dessen Armee eine bessere Lebensversicherung ist als »nie wieder« Sprüchlein aus Europa, schaut man besonders kritisch auf diejenigen, die am Fundament dieser Armee sägen und dafür von Dritten bezahlt werden. War es bei Gabriel und seinem Stab – niemand glaubt doch ernsthaft, dass Gabriel alle Reisen selber plant – besonders taktlos und eine Provokation nach der Vorgeschichte, so war es bei Benjamin Netanjahu ein Elfmeter ohne Torwart. Leicht verdiente Punkte ohne großen Nachteil. Die Halbwertszeit von Gabriel als Minister und Player auf der politischen Weltbühne ist sehr überschaubar und die tatsächliche Politik bestimmt die Kanzlerin.

Aber nicht nur Netanjahu hatte es leicht. Auch diejenigen, die Gabriels Haltung kritisch beleuchten wollten, hätten leicht Punkte einfahren können. Man hätte einfach das Offensichtliche sagen können. Der Mangel an Israelfreundlichen Artikeln führte dann aber zu aberwitzigen Konstellationen und Konstruktionen. Es wurde nach jedem Strohhalm gegriffen der sich anbot. Menschen, die sonst Schaum vor dem Mund haben, wenn man »taz!« in den Raum ruft, teilten plötzlich deren Beiträge bei facebook und twitter und versahen das meist mit dem Hinweis »sogar die schreiben das« und übersahen dabei vollkommen, dass der Apologet der taz den Staat Israel mit dem Iran verglich. Kaum ein Text kam ohne Rückgriff auf die Nazis aus. Wer von den Apologeten bekommt einen vernünftigen Text zusammen, der ohne Verweis auf Zvi Rix auskommt? Zvi Rix? Von ihm stammt der berühmte Satz, dass die Deutschen den Juden ­Auschwitz niemals verzeihen würden. Jener Satz, der häufig Henryk Broder zugeschrieben wird. Vermutlich hat Broder nichts dagegen, als der Urheber dieses Satzes zu gelten. Ich schlage vor, wir führen den Rix-Index ein. Je häufiger der Satz in einer gewissen Zeit auftaucht, desto gleichförmiger wird argumentiert. Man muss übrigens nicht weit in der Geschichte zurückgehen, wenn man das Handeln der Europäer und der Vereinten Nationen kritisch beleuchten will und darauf aufmerksam machen möchte, dass internationale Solidarität nicht davor schützt, irgendwo im Wald von Soldaten erschossen zu werden. 8000 bosnische Muslime bekamen in Srebrenica zu spüren wie sich diese Solidarität anfühlt.

Aber zurück zum Thema. Statt also das offensichtliche zu benennen, wurde offensichtlich, woran es mangelt: An der Fähigkeit ein Thema so anschaulich zu diskutieren, dass jeder versteht, was der eigentliche Punkt war. Auf die Aufzählung »Putin, Erdogan, Netanjahu« mit einer Reihe von Vorwürfen gegen die beiden genannten NGOs zu antworten und so zu tun, als schlafe der Außenminister nachts in einer braunen Uniform, hat nicht gerade geholfen, die »Anderen« aus ihrer Filterblase zu holen. Einer der Vergleiche: Gabriels Besuch bei den NGOs sei ungefähr so, als wäre ein ausländischer Minister in Deutschland zunächst zu den Reichsbürgern oder der NPD geeilt. Muss man dieses Argument wirklich erneut betrachten? Sind regierungskritische Organisationen tatsächlich »verfassungsfeindlich«? Nein. Das sind sie nicht, denn in der israelischen Demokratie widerspricht man ihnen vehement, aber die Organisationen sind nicht illegal. In der Hysterie übersieht man schon mal, dass die Argumentation etwas darüber aussagt, wie man eigentlich selber über Israel denkt. Ist Israel ein autokratisches Land, nur mit »besseren« Autokraten als in den anderen Ländern? Wohl kaum. Israel ist eine Demokratie – nicht nur eine Projektionsfläche für andere Konflikte außerhalb des Landes.