1858 hat Rabbiner Ludwig Philippson (1811–1889) ein, bis heute unübertroffenes, Mammutwerk geschaffen: Die »Israelitische Bibel«. Philippson fertigte eine vollständige Übersetzung des Tanach an, fügte einen ausführlichen Kommentar hinzu, zahlreiche Bilder und einen hebräischen Originaltext. 2015 hat der Herder-Verlag die Übersetzung Philippson neu aufgelegt – jedenfalls zunächst einen Teil davon: Der Teil »Tora(h)« wurde als eigener Band publiziert und die »bewährte« Übersetzung Philippsons, in leicht überarbeiteter Form, wieder zugänglich gemacht.

Es blieb nicht dabei, den Text aus der Frakurschrift »abzuschreiben.« Ein Herausgeberteam um Walter Homolka, den Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs, überarbeitete zurückhaltend die Übersetzung von Philippson, die sich nicht im Austausch veralteter Begriffe und einer modernisierten Orthografie erschöpfte. Die Arbeit an einer Neuausgabe eines klassischen Texts wird gemeinhin unterschätzt. Der Text muss zunächst sorgfältig digitalisiert werden, dann hat Philippson auch schon einmal einen Satz in der Übersetzung vergessen, es gibt Druckfehler oder Zeichendreher im Original, Wörter müssen behutsam in eine moderne Sprache gebracht werden, ohne die Gesamtwirkung zu zerstören. Eine Arbeit vieler Hände. Jedes Buch der Tora dieser Neusausgabe wurde jeweils von einem kleinen Text aus liberaler Perspektive eingeleitet. Den hebräischen Originaltext fand man auf jeder Seite. Genau mit diesem Ansatz hat das Team nun auch die »Propheten – Newi’im« umgesetzt. Das Ergebnis sind etwa 1.300 Seiten in einer handlichen Ausgabe. In dieser Überarbeitung behält der Text Philippsons seinen alten »Klang«, aber er ist auf weiten Strecken verständlicher als der Text in der Originalausgabe.

Gestalterisch orientiert sich der deutsche Text ein wenig an der verwendeten hebräischen Schrift. So wurde eine Schrift gewählt, die auf einer Bleisatzschrift (Renner Antiqua) basiert. Die hebräische Schrift und ihr Satz sind allerdings nicht kürzlich gesetzt worden, sondern vor 165 Jahren. Wie auch der Band »Die Tora« wird hier der hebräische Text von Max Me‘ir Halevi Letteris (1800-1871) verwendet, der ab 1851 veröffentlicht wurde. Es bleibt abzuschätzen, ob die Überarbeitung des Digitalisats weniger Ressourcen gekostet hat, als die Überarbeitung oder Anschaffung eines hebräischen Textes für einen vollständig neuen Satz. Der Text von Letteris ist nicht der schlechteste. Für die Torah passte das in einem gesteckten Rahmen gut, trotz einiger Nachteile in der Digitalisierung des Originaldrucks. In einem größeren Rahmen hat jedoch diese Entscheidung schwerwiegende Folgen und gewisse Nachteile gestalterischer Art.

Blick in die Propheten-Ausgabe des Herder Verlags Blick in die Propheten-Ausgabe des Herder Verlags

Schmuel 2, Beginn von Kapitel 22 bei Philippson Schmuel 2, Beginn von Kapitel 22 bei Philippson

Das hebräische Textvolumen der Letteris-Ausgabe gibt hier vor, wieviel Übersetzung auf der linken Seite steht und steuert sozusagen das Layout nach all den Jahren fern. Die Seiten hätten über große Strecken noch Platz für die sehr guten strukturierenden Zwischenüberschriften aus Philippsons Ausgabe. Diese sind aber nun in den Anhang gerückt. Hier dienen sie als eine Art Inhaltsverzeichnis, welches über eine grobe Angabe des jeweiligen Prophetenbuches hinausgeht. Gleiches gilt für die interessanten Anmerkungen zu hebräischen Begriffen. Diese findet man im Anschluss an die Übersetzung - dort gehen sie leider etwas unter. Im hebräischen Text springen die Zeilenangaben von der rechten Seite auf die linke Seite und wieder zurück. Die Ursache, dass die Letteris-Ausgabe zweiseitig war und die Zeilenangabe immer außen auf der Seite standen. Die Bearbeitung der hebräischen Seiten war ohne Frage sehr aufwändig, aber anscheinend ohne Alternative, weil man sich bereits in dem Torah-Band für diese Variante entschieden hatte, statt einen hebräischen Text selber zu setzen. Zusätzlich hat man den »Apparat« im Fuß der Letteris-Seiten belassen. An einigen Stellen brechen die hebräischen Anmerkungen einfach ab: »Haftarah für den zweiten Tag von«. Das wäre eigentlich auch auf der deutschen Seite des Buches eine interessante Zusatzinformation.

Hebräische Fußnote in der Herder-Ausgabe des Propheten-Buches Hebräische Fußnote in der Herder-Ausgabe des Propheten-Buches

Heißt es noch im Vorwort, Philippson sei besonders daran interessiert gewesen, die Haftarot und die Propheten insgesamt in den Fokus der Leserschaft zu rücken, so fehlt in dieser Ausgabe eine Tabelle der Haftarot oder eine Markierung der Haftarot im Fließtext. Die Einleitung von Marc Zvi Brettler ist kurz und informativ gehalten. Sie dürfte ein breiteres Publikum erreichen, als die Einleitungen aus dem Band »Tora«, die sich teilweise an ein akademisches Publikum wandten und den interessierten Laien nicht richtig abholten. Diese Ausgabe ist also ein kleines Mammutwerk.