Kreuze und Zeichen

Die gefeierte Intelligenz der Massen! Die deutschsprachige Wikipedia ist so erfolgreich wie ihre anderssprachigen Schwesterprojekte, aber in vielerlei Hinsicht unterbindet die Schwarmintelligenz nicht, dass man nicht zu unvernünftigen Ergebnissen kommt und sich verhält wie der Mainstream in der Offline-Welt.
So haben Muhammad/Mohammed, Regina Jonas und Ariel Scharon in der Wikipedia eine Gemeinsamkeit: Ihr Sterbedatum wurde mit einem genealogischen Zeichen versehen, welches den Todestag einer Person markiert. Dummerweise ist dieses Symbol ein Kreuz.
wikipedia_muhamm
wikipedia_rabjonas
wikipedia_scharon
Immer wieder sind einzelne Nutzer der deutschsprachigen Wikipedia dagegen Sturm gelaufen (siehe hier oder hier). Gefüllte Bildschirmkilometer. Der Ausgang und der Tenor waren aber klar:
»Stellt Euch nicht so an. Mag sein, dass ihr das nicht mögt, euer Problem« Zuletzt kam es zu diesen Auseinandersetzungen wohl zum Tod von Ariel Scharon. Auch sein Sterbedatum wurde mit dem Symbol des Kreuzes versehen. Also einem, dass für Juden nicht gerade unbelastet ist. So ist es ja nicht nur das Symbol des Christentums, also einer anderen Religion, sondern steht auch für Zwangstaufen und Verfolgungsdruck. Es ist also reichlich perfide, genau so ein Zeichen den Personendaten verstorbener Juden (oder Muslime) hinzuzufügen.

Der Mob argumentiert formalistisch: Es sähe zwar aus, wie ein Kreuz, das genealogische Zeichen (†) sei aber gar kein Kreuz und damit sei (und ist) die Diskussion zu Ende.
In anderen Sprachvarianten der Wikipedia ist das kein Thema, hier hat man die Symbole vermieden.
Besonders dumm ist aber das Argument derjenigen, die lediglich ihre kulturelle Hegemonialität zeigen wollen und sich hinter Formalien verstecken, wenn man einen Blick in den Wikipedia-Artikel (der Griff der Axt kommt aus dem Wald) Genealogische Zeichen wirft. Dort werden auch entsprechende Symbole für Juden, Muslime und Buddhisten gelistet.

2012 hat das eine evangelische Theologin ebenfalls schon beobachtet (siehe hier). Seitdem ist nicht viel passiert. Aber wir haben gelernt, dass 100 Ignoranten nicht notwendigerweise zu weiseren Entscheidungen kommen, als 1 Ignorant.

Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

20 Kommentare

  1. Es gibt übrigens hier noch einen sehr berühmten Juden, dessen Tod mit diesem Zeichen markiert ist. 😉
    Auch (lehavdil!) bei Maimonides, Remo, Maharil, Maharam, Maharal, Raschi, Ari, Ramban.
    RSRH hat übrigens keine Zeichen, sondern “geb.” und “gest.”.

  2. Guten Tag, danke für Ihren Kommentar.

    Das genealogische Kreuz wird fast nur im deutschsprachigen Raum verwendet. Es wurde Mitte der 1920er Jahre von Meyers Lexion und Brockhaus übernommen, später von anderen Lexika bis hin zum Duden. Es bezieht sich auf das Christentum, ist aber nicht als christliches Symbol definiert. Gerade aufgrund dieser Bedeutungsänderung konnte das genealogische Kreuz in die allgemeine Schriftsprache gelangen und zum Ausdruck “kultureller Hegemonialität” gegenüber Nichtchristen gemacht werden.

    Die von Ihnen angeregte Verwendung entsprechender Symbole für Juden, Muslime und Buddhisten etc. wäre zwar tatsächlich eine Verbesserung gegenüber bisher, käme für eine Enzyklopädie aber nicht in Frage, welche die Personen unabhängig von ihrer Religion formal gleichbehandeln soll.

    Viele moderne Lexika schreiben “geboren”/”gestorben” oder “gest.”/”geb.”, was sich bisher in der Wikipedia nicht durchsetzen konnte.

  3. Es gibt übrigens hier noch einen sehr berühmten Juden …

    Stimmt genau, das war ja auch einer von uns!

    Ich glaube so wäre das in seinem Fall korrekt geschrieben worden: “gest. 33 n.d.Z.”

    So, oder so ähnlich; habe ich recht?! 🙂

    Shalom

    Miles

  4. “Der Mob argumentiert formalistisch” – wer in der Weise argumentiert, den kann ich gar nicht ernst nehmen. Es ist eine Sache, hier sachlich eine Meinung zu vertreten. Aber die der anderen “Seite” ist auch berechtigt. Das ist von beiden Seiten zu akzeptieren. Wer erst damit beginnt, die anderen als “Mob” zu bezeichnen hat schon verloren.

    Ich bin übrigens Atheist – und ICH sehe da nur ein genealogisches Zeichen. Über das kann man reden. Aber bei mir sträubt sich immer alles, wenn ich eine Diskussion in dieser Form sehe.

  5. Wieso denn Verschwoerungstheorie?
    also fuer mich ist ein Kreuz eindeutig ein religiöses Zeichen, was soll es denn sonst sein? Und es wird einfach jedem übergestülpt, der nicht schnell genug (oder gar nicht mehr) “nein danke” sagen kann. Einfach ignorant.
    Und was ist an der Diskussion niveaulos? Ich verstehe das nicht, etwa nur, weil man damit nicht einverstanden ist? – schliesslich sind auf einem jüdischen Friedhof auch keine Kreuze auf den Grabsteinen. Aber vielleicht sollten wir da ein wenig “offener und toleranter” sein, oder?
    Noa

    1. »Und was ist an der Diskussion niveaulos? Ich verstehe das nicht, etwa nur, weil man damit nicht einverstanden ist? – schliesslich sind auf einem jüdischen Friedhof auch keine Kreuze auf den Grabsteinen. Aber vielleicht sollten wir da ein wenig “offener und toleranter” sein, oder?«

      Wenn man die Polemik ein kleines Stückchen zurückfährt, kann man auch zugestehen, dass das Kreuz keinesweges so eindeutig christlich konnotiert ist, wie behauptet, und auch auf jüdischen Grabsteinen nicht gänzlich unbekannt ist. Wie fast immer stellt sich der Sachverhalt so eindeutig nicht dar und genau das sollte man auch dem Gegenüber zugestehen. Kultur ist eben etwas notorisch ambiges.

      Mit der Suchmaschine des Vertrauens lassen sich ohne weiteres solche Bilder finden, auch wenn man eher weniger Zeit auf Friedhöfen verbringt:

      http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20266/BR%2030%20Meta%20Sternberg%20Siegfried%20Groetzinger.jpg

      http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%20266/BR%2001%20Elias%20Ottenheimer.jpg

      http://www.alemannia-judaica.de/images/Images%2023/Koenigsbach%20Friedhof%20151.jpg

      http://www.sulzbuerg.de/assets/images/GR000008.JPG

      1. Haha, schwacher Scherz.
        Die Bilder belegen bloss, wie ihm Verlauf des 19. Jhd im deutschen Judentum die Assimilation um sich griff.
        Auf juedischen Grabsteinen von davor und juedisch-orthodoxen von danach findet man gewiss keine Kreuze etc.
        Mittlerweile findet man leider wegen fortschreitender Gleichgueltigkeit und Ignoranz vieles in juedischen Kreisen, dass mit Judentum nichts zu tun hat.

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