Nie gehört: Antisemitismus in Deutschland

Der Eurovision Song Contest in Oslo endete mit dem Sieg Deutschlands. Rekordeinschaltquote, Rekordaufmerksamkeit, Rekordergebnis. Der israelische Kandidat Harel Skaat war auch nicht schlecht und sammelte von vielen Ländern ein paar Punkte ein.
Nun ist einigen aufmerksamen Zuschauern aufgefallen, dass Deutschland von Israel keine Punkte erhalten hat (wie übrigens viele andere Länder auch nicht, weil es nur 10 Möglichkeiten zur Punktevergabe gibt). Diejenigen, die am wenigsten über politische Zusammenhänge nachdenken, haben entsprechend gehandelt und das getwittert und gefacebooked. Jörg Marx hat sich das genau angeschaut und ist zu einem verblüffenden, vollkommen überraschenden Ergebnis gekommen: Unter Deutschen gibt es Antisemitismus! Über eine Seite namens Openbook fahndeten er und der Politikblogger nach entsprechenden Kommentaren. Die sind ekelig, widerwärtig und alles andere als schön. Aber eines ist es nicht: Neu. Diejenigen die sich da äußern, brauchen nur einen Anlass, aber keinen Grund. Jude ist zu einem gängigen Schimpfwort aufgestiegen. Das ist alles nichts neues und da wundert es auch nicht, dass unter tausenden von tweets auch Personen mit antisemitischer Einstellung diese auch äußern. Tun wir also nicht so, als seien die paar geistigen Tiefflieger unser größtes Problem. Sie sind der sichtbare Teil eines verbreiteten Phänomens.

Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

12 Kommentare

  1. Nun, endlich kann man sich mal wieder über “uns” aufregen. Hauptsache man findet einen Grund. Allerdings habe ich die ersten sich über die 0 Punkte aus Israel empörende Kommentage von anderen Juden im Netz gelesen…. und dann aber sich wie verrückt freuende Israelis, da es nächstes Jahr zum Contest nach D geht…

    Schade, dass offensichtlich vergessen wird, dass es um Musik geht – und die sollte bekanntlich verbinden.

  2. Übrigens – muss es im Text oben nicht umgekehrt heißen: “Nun ist einigen aufmerksamen Zuschauern aufgefallen, dass Deutschland von Israel keine Punkte erhalten hat”? Der deutsche Siegespöbel hat sich ja darüber aufgeregt, dass Israel der Lena keine Punkte zukommen ließ.

    Obwohl… da fällt mir ein: Israel hat auch von D’land keine Punkte bekommen. Aber haben sich Juden darüber aufgeregt? Eine politisch-historische Sache daraus gemacht? Den Deutschen als den ewigen Nazi gescholten, der Israel hasst und ihnen selbst beim ESC keine Punkte gibt? (Rhetorische Frage, denke ich.)

    Grundsätzlich zum Bild von Raab: Es ist natürlich nur ein Snapshot, die abgebildete Pose nur Teil einer Bewegung. Ich fand nur witzig, dass es was passendes zum Thema gab. 🙂

    Das mit der Saban wusste ich nicht. Frage: Weiß jemand, ob’s im Netz eine Art Anlaufpunkt mit Infos zu jüdischer Musik in Berlin gibt? Ich hatte zwar mal das Vergnügen, mit Anat Zoe Tuvia zu arbeiten (ganz große Klasse, die Frau) aber ehrlich gesagt kenne ich mich da nicht sonderlich aus.

  3. Ist doch alles ne einfache Kiste: Wenn Israel keine Punkte erhält, ist es ein Signal des aufgeklärten Europas gegen die pöhse “Apartheidpolitik” der “zionistischen Imperialisten”.

    Wenn Israel hingegen aus dem europäischen Mainstream ausschert und einem so unverlierbaren Bestandteil zeitgenössischen Kulturschaffens wie “Like a troglodyte” äääh satellite die Würdigung verweigert, die alle anderen in Zeiten wie diesen beweisen, ist es hingegen eine Provokation.

    Dabei braucht Europa doch gerade jetzt ein Aushängeschild auf exakt diesem Niveau. Warum, verrät Euch Bluthilde:

    http://bluthilde.wordpress.com/2010/05/30/like-a-troglodyte/

    🙂

  4. Israel erhielt aus Deutschland zwar keine Punkte, aber mindestens ein Deutscher hat massiv für Harel Skaat per SMS gevotet: ich! Und nach all dem geistigen Unrat der da im Internet zusammengezwitschert wird, bin ich darauf sogar ein kleines bißchen stolz, wenngleich es kein Votum für oder gegen ein Land (ich versendete auch für den Norweger Didrik Solli-Tangen einige SMS) war sondern einfach nur für einen wunderbaren jungen Künstler mit einer ergreifenden Ballade. Gott, was bin ich unpolitisch in diesen Zeiten!

  5. @DDH Ich fand den israelischen Song schon recht gewöhnlich und schwülstig. Aber Skaat war definitiv einer der besten Sänger an dem Abend. Insofern ist die magere Ausbeute nicht gerecht.

    Ich habe mich genauso gewundert, dass Serbien nicht weiter oben gelandet ist. Der Song war sehr gut (Goran Bregovic ist einfach genial), aber er war vielleicht zu sehr in Richtung Plastikpop/EuroTrash produziert. Und da war da ja auch noch die Claudia-Roth-Gedächtnisfrisur des Sängers. 😉

  6. Diese Antisemiten nutzen jede Gelegenheit um ihrem Judenhass zu fröhnen. Es spielt ja auch keine Rolle, dass Deutschland Israel eben auch Null Punkte gab und Israel sehr wohl schon Punkte an Deutschland vergeben hat. Nicole bekam damals aus Israel 12 Punkte.
    Es geht also nicht um den Grand Prix, sondern um die Gelegenheit gegen Israel und Juden zu hetzen.
    Vielleicht fällt es der Gesellschaft nicht auf, aber die antisemitischen Ausfälle in Deutschland, vor allem online, nehmen ständig zu. Es wird immer schlimmer und mir macht das wirklich Angst.

  7. Es sind nicht nur Ausfälle. Es ist eine echte Tendenz. Aber die Polemik und Ressentiments nehmen auch in vielen anderen Bereichen zu, gegen gewählte Politiker, gegen IPCC, gegen Wirtschaftsvertreter, gegen die katholische Kirche, gegen Religionen im allgemeinen usw. Alle verschanzen sich gerade in ihren Schützengräben, und allgemein scheint Protest momentan en vogue zu sein.

  8. Und mit Hetze haben wir es hier auf jeden Fall zu tun. Das hat nichts mit pragmatischer Kritik und ehrlicher Debatte o.ä. zu tun. Wie Du schon sagtest: für die war die Grand-Prix-Sache einfach nur eine weitere Gelegenheit, an den virtuellen Stammtischen vom Leder zu ziehen. (Und das ist sehr bezeichnend.)

  9. Holy Moses! Vom ‘Song Contest’ über ‘Null Punkte aus Israel’ bis hin zum ‘Antisemitismus’ zu kommen, das finde ich von der Logik her schon recht abenteuerlich!

    Leute, keine Punkte aus Tel Aviv – so what? Dafür haben wir Euch aus Bern immerhin einen vollen ’12er’ überwiesen! 🙂 Das dürfte doch die Nullrunde von den musikalisch-geschmacklosen Israelis locker aufwiegen, oder? 🙂

    Long live Lena! 🙂

    Shalom

    Miles

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