Stellvertreterkrieg?

Im Blog „Jüdisches Berlin” wurde Ende letzten Monats darüber berichtet: Jüdische Kinder müssen unter Polizeischutz gestellt werden, weil es antisemitische Übergriffe gibt, vorwiegend durch andere Schüler mit arabischem Familienhintergrund. Ursprünglich hatte der Sender Berlin-Brandenburg darüber berichtet:

Anne (Name geändert)
„Und dann hat ein Junge rein gerufen: ‚Wer ist denn hier die Jüdin?’ und dann habe ich schon ein bisschen Angst bekommen und mich nicht getraut, irgendwie was zu sagen und dann hat er angefangen zu schreien und richtig aggressiv gefragt, wer die Jüdin ist und dann habe ich gesagt, ich. Und dann meinte er: ,Soll ich dir was sagen, ich scheiß auf die Juden!’.“ von hier.

und

Vor ein paar Wochen erreicht die Eskalation vor dem Schultor ihren Höhepunkt. Und diesmal sind es zwei arabische Mädchen. Sie sind Anne körperlich überlegen und gehören nicht zur Schule. Sie fangen an zu schlagen und zu spucken. Anne flüchtet vor Angst in ein Restaurant um die Ecke.
Anne (Name geändert)
„Die haben gesagt, ich bin Jüdin und jetzt kriege ich eines auf die Fresse. Die haben mich einfach nur geschlagen. Die haben gesagt: ,Du dreckige Scheiße, geh dich aufhängen!’.“

Nun meldet sich die tageszeitung dazu und lässt die Schuldirektorin sprechen. Einleitend wird aber behauptet, der Fall sei hochgespielt worden:

Einen Streit zwischen zwei Mädchen an einer Kreuzberger Oberschule spielen Zeitungen als antisemitischen Übergriff hoch. Dabei war die Auseinandersetzung beigelegt, kritisiert Schuldirektorin Mira Lammers. Folge: Der Konflikt wird neu entfacht. von hier

Wie der Fall genau heruntergespielt wird, könnt Ihr selber lesen. Bemerkenswert ist aber folgende Argumentation in dem Beitrag:

Wird hier etwas mobilisiert – also der Antisemitismus -, der eigentlich nicht das Problem ist?
Natürlich hat der Konflikt eine antisemitistische Komponente. Aber der Auslöser war etwas anderes: Die Schülerin, die nun als Täterin dafür verantwortlich gemacht wird, hat mit Antisemitismus wenig zu tun. Das ist eine Vereinfachung der Medien. Man hat jemand, die ist namhaft und noch dazu Kopftuchträgerin. Das passt genau ins Bild – das ist dann sozusagen ein Stellvertreterkrieg. Genauso wie die jüdische Schülerin auch Stellvertreterin für jüdische Interessen ist. Das zeigt sich daran, dass sich die jüdische Gemeinde in vielerlei Hinsicht stark gemacht hat für diese Schülerin.

Also was nun? „Ja, die Schülerin ist antisemitisch”, oder „Nein, die Schülerin ist nicht antisemitisch”. Hier gab es nur eine antisemitische Komponente. Was soll das bedeuten? Soll das bedeuten, die Äußerungen waren akzeptabel, weil sie im Affekt gemacht wurden? Der „Auslöser” sei ja etwas anderes gewesen, sagt die Schulleiterin, kann man hier also von „Antisemitismus in Notwehr” sprechen? Mit Antisemitismus wenig zu tun zu haben, ist mir, offengesagt, immer noch zu viel Antisemitismus. Der Artikel und die Äußerungen der Lehrerin erhellen vielleicht die Hintergründe ein wenig, erkennen jedoch das eigentliche Problem nicht an, nämlich, dass da Antisemitismus existiert (manifest). Solange man die Probleme nicht benennen kann, kann man auch nichts gegen sie tun.

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Kategorisiert in Jüdisches

Von Chajm

Chajm Guski ist nicht nur Autor dieses Blogs und Bewohner des Ruhrgebiets, sondern auch Herausgeber von talmud.de und Organisator des Minchah-Schiurs im Ruhrgebiet. Einige seiner Artikel gibt es nicht nur im Internet, sondern beispielsweise auch in der Jüdischen Allgemeinen. Über die Kontaktseite kann man Chajm eine Nachricht senden. Man kann/soll Chajm auch bei twitter folgen: @chajmke. Chajms Buch »Badatz!« 44 Geschichten, 44 zu tiefe Einblicke in den jüdischen Alltag, gibt es im Buchhandel und bei amazon. Sein Buch »Tzipporim: Judentum und Social Media« behandelt den jüdischen Umgang mit den sozialen Medien. || Um per Mail über neue Beiträge informiert zu werden, bitte hier klicken

6 Kommentare

  1. hallo, ich bin erschüttert so etwas zu lesen. ich komme aus berlin und bin jüdin. zwar ist meine schulzeit schon lange vorbei, aber ich kann nur gutes berichten. meine mitschüler waren eher am judentum interessiert und fanden es spannend.

    leider habe ich vor einiger zeit eine schlechte erfahrung gemacht. ich war auf dem weg zur synagoge. dort wurde ich von jungen moslems als dummer Jude bezeichnet. das ist mir zum ersten mal passiert. und zum ersten mal habe ich so eine art angst gespürt. die krönung kommt aber noch: polizisten standen daneben und haben nichts unternommen- keine mahnenden worte. ich weiß, dass “dummer Jude” keine beleidigung ist, aber trotzdem hätten sie einschreiten sollen. ich bin enttäuscht von der berliner polizei. durch ihr verhalten, wurden die jugendlichen moslems mit hoher wahrscheinlichkeit in ihrer haltung bestätigt.

    es muss endlich etwas gegen diese antisemitischen strömungen unternommen werden. Deutschland wach auf!

  2. Möglicherweise hat die Berichterstattung tatsächlich einige Vorgänge dramatisiert, schlimm genug ist aber die Tatsache, dass Antisemitismus unter bestimmten „Vorannahmen” in Ordnung zu sein scheint. Wie es in anderen Schulen aussieht, in denen die Schüler zuhause kein antisemitischen Sendungen aus dem Satelliten-TV schauen, schreibt natürlich niemand. Es wird sie sicher auch geben, die Schulgemeinschaften mit Interesse und Respekt voreinander…

  3. Hi,

    für mich sind solche vorfälle nichts neues, ich war mitte der 90er auf einer Charlottenburger Realschule, die sogar den namen eines berühmten jüdischen Menschen trug, trägt nichts zur sache bei, meine klasse war multi-kulti, unter denen auch araber und türken, dort hörte ich zum ersten mal wörter wie bozkurt, hamas und scheiss-jude, wer heute von der radikalisierung des islams spricht hat die 90er verpennt. verherrlichung von den bombenanschlägen auf zivilisten in israel war an der tagesordnung, rabins ermordung wurde mit bonbons und schokolade gefeiert und ich bekam weil ich jude bin auch paar mal aufs maul-bis ich es einem bekannten erzählte, der es dann an die gemeinde wietererzählte, der besagte schüler tauchte nie wieder in der klasse auf und es warruhe.

    ich glaube nicht, dass die medien übertrieben haben und ich finde dass die jüdische gemeinde mehr als richtig gehandelt hat, es war ein antisemitismus vorfall ohne gleichen!

    wie gesagt für mich nichts neues, nur jetzt sind die leute mehr sensibel was solche vorfälle angeht. Bin nur froh dass es eine jüdische schule in berlin gibt, wo sowas nicht vorkommt.

  4. Also doch nicht dramatisiert? Schlimm genug…
    Das ist eine interessante Entwicklung: Weil die Politik die Sachlage nicht anerkennen will und ganze Schülergruppen sich nicht an einfachste soziale Normen halten können und mitten in Deutschland zum Hass erzogen werden, müssen jüdische Schüler auf andere Schulen gehen! Wenn das die „Lösung” des Problems ist, dann ist das wahrhaftig eine Kapitulation vor dem dumpfsten Antisemitismus den man sich vorstellen kann. Das ist sehr sehr gruselig! Da muß also dringenst etwas passieren. Aber bitte nicht auf Schönbohm Art und Weise, nämlich das Problem ersteinmal klein zu reden…

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